Foto: Jürgen Oberguggenberger/pixelio.de |
Von Norbert Bauer
Zur Erinnerung: Michael Ballack war die Heilsfigur der Fußballnation Deutschland. Als der heutige Schalker Glücksbringer Kevin Prince Boateng ihn durch einen Tritt aufs Sprunggelenk verletzte sendete die ARD gar um 20.15 Uhr den Brennpunkt: „Das Aus für Michael Ballack.“ Die Stimmungslage war klar: ohne Micha sind wir chancenlos und brauchen erst gar nicht zur WM nach Südafrika zu fahren.
Wir wissen: es kam anders. Auch wenn es wieder nicht zum WM-Titel reichte, spielte eine junge deutsche Nationalmannschaft ohne Michael Ballack schönen und schnellen Fußball. Folgerichtig bemühte sich Jogi Löw nach der WM auch nicht besonders um Rückkehr seines ehemaligen Kapitäns. Er hatte die Zeichen der Zeit erkannt: Moderner Fußball kommt besser ohne Zentralperspektive eines dominanten Fußballspielers aus.
Leider hatte sich diese Erkenntnis zu meinem persönlichen Entsetzen bei Bayer Leverkusen noch nicht durchgesetzt. Jedes zweite Wochenende musste ich miterleben, wie das flexible Mittelfeld um Lars Bender, Simon Rolfes und Tranquillo Barnetta durch den reaktivierten Michael Ballack langsam und berechenbar wurde. Als Michael Ballack 2012 seinen Rücktritt erklärte atmete ich auf: endlich weniger Ballack.
Genauso empfand ich, als Papst Benedikt zurücktrat. Für mich war es in den letzten Jahren deutlich zu viel Papst. Jahrelang war ich Ministrant und konnte diesen Dienst gewissenhaft ausüben, obwohl mich kein Papstporträt daran erinnerte, wer hier der eigentliche Hausherr ist. Katholische Sonderzüge fuhren mich nicht zum Weltjugendtag sondern zum Katholikentag nach Berlin oder Düsseldorf. Als 1980 Johannes Paul II. am Köln/Bonner Flughafen begeistert mit „Totus Tuus“ Rufen begrüßt wurde, ahnte ich, dass eine neue Ära begonnen hatte. Ich konnte aber nicht abschätzen, wie sehr sich die Päpste in der Folgezeit zum katholischen Maskottchen entwickeln würden. Katholisch sein bedeutete plötzlich vor allem den Papst gut zu finden. Papst Johannes Paul II. avancierte zur Ikone, aber auch weit über die katholische Welt hinaus. Ein Phänomen, das wir auch von Lady Di kannten, die ja nicht nur für die englische Bevölkerung interessant war, oder auch von Michael Jackson, am dessen Schicksal auch die Menschen Anteil nahmen, die nicht zu seinen Liedern tanzten. Auch Papst Benedikt gelang es, nicht nur das Stammpublikums zu begeistern und diente den Manufactum-Kunden zum Distinktionsgewinn. Euphorisch widmeten Gala und Bunte ganze Seiten der jeweils aktuellen päpstlichen Schuhmode. Die Präsenz nach außen ging einher mit einer Dominanz nach innen. Genauso wie Michael Ballack nicht nur die Gegenspieler beeindruckte, sondern auch innerhalb der Mannschaft die Teamhierarchie gerne mit einem rauen Ton zurechtrückte, zeigten auch die Päpste wieder deutlich, wer das Sagen hat. Die Stimmung in der Umkleidekabine unter Kapitän Michael Ballack glich sicherlich nicht selten der im Vatikan.
Mit dem weißen Rauch über der sixtinischen Kapelle hegte ich eine gewissermaßen dialektische Erwartung: hoffentlich weniger Papst.
Dazu ist es nicht gekommen. Heute ist mehr Papst denn je. Die Presseschau von diesem Wochenende zeigt es. Christ & Welt räumen gleich vier Seiten für Papst frei, und der bisher nicht durch Papsttreue aufgefallenen Chefredakteurin Christiane Florin wird es richtig warm ums Herz, wenn sie an Franziskus denkt. In der taz, die nach der Papstwahl mit ihrer „Alter Sack“-Glosse noch den katholischen Zorn auf sich zog, ist Arno Frank der Überzeugung, dass die Haltung des Papstes zur Sexualmoral eine Kampfansage an die Konservativen ist, während der evangelische Rom-Korrespondent der FAZ sich erfreut zurücklehnt, weil der Papst beim Zölibat, den wiederverheirateten Geschiedenen und in Sachen Homosexualität genauso denkt wie seine Vorgänger und daher sich auch nichts ändern wird. Der Konsens-Papst wird von allen geliebt. Die Stimmung nicht nur in der Kabine ist bestens.
Daher wird zur Zeit auch gerne zur Zeit „Wind of Change“ zitiert, der schlimmen Hymne zum Zusammenbruch der Sowjetunion. Zum Dank lud Michael Gorbatschow die Scorpions 1991 nach Moskau ein. Nicht auszuschließen, dass sie auch sie bald von Papst Franziskus im Vatikan begrüßt werden. Die oft angeführte Paralle ist eigentlich erstaunlich, denn zwischen Entzug einer Lehrerlaubnis und Verdammung ins Straflager ist schon ein himmelweiter Unterschied. Er weist aber dennoch auf einen kritischen Punkt in der aktuellen Phase hin, die von manchen ja schon als revolutionär bezeichnet wird. Vom „Wind des Wandels“ war nach Gorbatschow in Russland bald nichts mehr zu spüren. Glasnost war nur in ein kurzes Aufatmen. Denn bei der von oben gesteuerten Revolution vernachlässigte Gorbatschow die strukturelle Modifikation des Systems. Die Machtfülle blieb auf eine Person so sehr an der Spitze konzentriert, dass unter Putin von Glasnost nicht mehr die Rede sein kann. Nach dem aktuellen Stand der Dinge verzichtet auch Papst Franziskus auf eine Veränderung der Verfassung. Das Regelwerk bleibt erhalten, soll aber nicht mehr so streng umgesetzt werden. Barmherzigkeit soll walten. Barmherzigkeit ist für zwischenmenschliches Handeln eine entscheidende Kategorie, als Programm für eine Organisation jedoch nur bedingt einsetzbar. Hier sind die Kategorien wie Recht und Anerkennung entscheidend. Das Verhalten gegenüber Homosexuellen macht diesen Unterschied klar. Papst Franziskus erwartet ein barmherziges Verhalten ihnen gegenüber. Seine Worte sind gewiss ein Fortschritt für das Klima gegenüber Homosexuellen innerhalb der Kirche. Dennoch ändert es nichts daran, dass ihnen nur der Status der Duldung eingeräumt wird. In einer modernen Verfassung werden homosexuell lebenden Menschen hingegen Rechte eingeräumt, damit sie eben nicht darauf angewiesen sind, dass eine Kanzlerin Barmherzigkeit ausruft. Solange Minderheiten innerhalb einer Gesellschaft oder Organisation auf das weiche Herz der Mächtigen angewiesen sind, müssen sie jedes Mal bangend auf die nächste Wahl blicken.
Deswegen ist es wichtig, dass für Papst Franziskus Barmherzigkeit nur der erste Schritt zu einer Reform der Strukturen ist. Ein wichtiger Punkt der Reform ist, dass die absolutistisch souveräne Höchstgewalt des Papstes eingeschränkt wird und Formen der Gewaltenteilung entwickelt werden.
Die Katholische Kirche ist kein Fußballspiel. Sie kennt auch keinen Trainer, der das Ende des alten Heldenfußballs erklärt. Papst Franziskus ist daher als Spielertrainer gefragt, der das Spielsystem so nachhaltig verändert, dass auch in Zukunft für Spielertypen wie Michael Ballack das Spiel nicht an sich ziehen können.
Lieber Norbert,
AntwortenLöschendanke für den link !
Ich habe immer gedacht, ich verstehe mehr vom Fußball als von Systemtheorie oder gar Theologie. Dennoch ein verhaltener systemtheoretische Hinweis auf theologischem Hintergrund vom einem, der das Geschehen in Rom mit Erstaunen und Sympathie beobachtet und dabei immernoch rote Armanitreter genauso gruselig findet wie neonpinkfarbene Nike-Sportprodukte:
Es ist, kann es zum jetzigen Zeitpunkt auch gar nicht, nicht die administrative Gestaltungskraft des neuen Papstes, die mir Hoffnung macht. Es sind vielmehr die prophetischen Impulse, die ich meine erkennen zu können. Und es waren schlussendlich eben nie die Propheten, die die Systeme neu strukturiert haben, die hatten oft genug damit zu tun sich die Wunden zu lecken, die ihnen die Stadthalter der Beharrfung ins Gesicht geklopft haben. Für die Ingangsetzung der fälligen Metamorphose braucht es die Breite des Systems - oder fußballerisch gesprochen: Die 6, die Doppel-6, welche 6 auch immer, also Hacki Wimmer, Stefan Reinhartz, Dich, mich................... . Und wenn die dann funktionieren, kannst du Bernd Schuster oder Michael Ballack ruhig noch ein wenig altern lassen, es sei denn sie tauchen mit diesen schwulen pinken Tretern auf...
Liebe Grüße, Thomas