Donnerstag, 9. Mai 2013

Selber Schuld


Foto: Peter Otten
Schon die Ermittlungen zu den NSU Morden waren für die Angehörigen erniedrigend, weil Polizei und Politik vermuteten, dass die Täter aus dem Umfeld der Opfer kommen müssen. Aber auch nachdem 2011 genau das Gegenteil offenbar wurde, werden die Opfer nicht aus der Verantwortung entlassen.
 
Von Norbert Bauer
 
Es zählt zu den Aufgaben von Historikern aber auch von Leitartiklern Zusammenhänge aufzuzeigen, die auf den ersten Blick nicht zu sehen sind. Ein Blick in die Geschichtsbücher und die Kommentarspalten zeigt aber auch, dass manche Verbindungslinien nicht mit der Wirklichkeit übereinstimmen. Politische Motivation steuert all zu oft das Erkenntnisinteresse.
Der Historikerstreit ist sicherlich der bekannteste Versuch in der Debattengeschichte der Bundesrepublik Deutschland, historische Deutung neu zu justieren. Jürgen Habermas kritisierte 1986 bei dieser Auseinandersetzung die These Ernst Noltes, dem nationalsozialistischen Terror sei der stalinistische vorgelagert. „Vollbrachten die Nationalsozialisten“, so der Historiker Ernst Nolte, „vollbrachte Hitler eine ‚asiatische‘ Tat vielleicht nur deshalb, weil sie sich und ihresgleichen als potentielle oder wirkliche Opfer einer ‚asiatischen‘ Tat betrachteten?“ Dieser Konstruktion eines abwegigen Konnexes ist Jürgen Habermas entgegengetreten. Dennoch taucht immer wieder das dahinter liegende Denkmuster auf: Das Opfer trägt eine Mitverantwortung. So auch am 8. Mai in einem Kommentar in der FAZ. Jasper von Altenbockum vermischt in „Zumutungen des Rechtsstaats“ NSU-Prozess und Islam-Konferenz: „Vor allem Extremismus und Terror gehören zu den Gründen, warum eine Minderheit der Muslime nicht integrationswillig ist; das wiederum ist einer der Gründe für islamfeindlichen Extremismus und Terror.“ Der NSU Terrorismus war motiviert durch islamischen Extremismus und mangelndem Integrationswillen ihrer Opfer? Einen Blick auf die Biographien der Mordopfer zeigt, wie abstrus diese Hypothese ist. Enver Şimşek, Halit Yozgat, Mehmet Turgut und die weiteren Mordopfer waren alle Kleinunternehmer, die genau das getan haben, was bei Sonntagsreden von ihnen erwartet wurden: sie haben sich in die deutsche Gesellschaft integriert. Auf diese integrationswilligen Migranten hatten es die Rechtsterroristen abgesehen, auf die, die mit ihrer täglichen Arbeit gezeigt haben, dass sie Teil des Standortes Deutschlands sein wollen. Genau das hat die neuen Nazis gestört, genauso wie es die alten Nazis gestört hat, dass Deutsche jüdischen Glaubens die deutsche Kultur, die deutsche Wirtschaft, den deutschen Alltag geprägt haben. Schon die Ermittlungen zu den NSU-Morden waren für die Angehörigen erniedrigend, weil Polizei und Politik vermuteten, dass die Täter aus dem Umfeld der Opfer kommen müssen. Aber auch nachdem 2011 genau das Gegenteil offenbar wurde, sitzen die Opfer weiterhin mit auf der Anklagebank. Es sollte endlich Schluss damit sein, bei der Suche nach den Gründen rechten Terrors auf der Seite der Opfer zu suchen.

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