von Norbert Bauer
Bodenmosaik, St. Agnes Köln/Foto:Norbert Bauer |
„Sie hatten sich zurückgezogen ins Obergemach, aus Angst vor den Juden. Sie wussten nicht weiter!“ Bischof Heiner Koch versucht im Deutschlandfunk die Stimmungslage der Jüngerinnen und Jünger vor dem Pfingstereignis zu skizzieren, in dem er das Evangelium des Sonntages nacherzählt.
Zwei Stunden später liest ein Priester das Pfingstevangelium nach Johannes (20, 19 – 23) vor. Er stockt für einen Moment und liest dann: „Am Abend des ersten Tages der Woche, als die Jünger aus Furcht die Türen verschlossen hatten...“. Der mit der Bibel vertraute Zuhörer weiß sofort, hier wurde etwas ausgelassen: aus Furcht vor den Juden. Was der Bischof in der Paraphrasierung noch aufgreift, lässt der Priester weg. Ich bin kein Freund von Auslassungen und beliebigen Variationen biblischer Texte – doch in diesem Fall habe ich aufgeatmet, war es für mich das Korrektiv zur bischöflichen Radioandacht. Heute kann man nicht mehr ohne Erklärung so eine Formulierung vorlesen. Dabei geht es nicht um politische Korrektheit, sondern um exegetische Erkenntnis.
In den Evangelien finden sich einige Stellen, in denen ein schroffes Gegenüber von Juden und Jesus, bzw. Juden und seinen Jüngerinnen und Jüngern beschrieben wird. An diesen Stellen kann man immer wieder klar ablesen, dass es sich bei der Bibel nicht um einen Zeitzeugenbericht handelt, sondern um interpretierte Glaubensgeschichte. Jesus und seine Jünger und Jüngerinnen waren ihr Leben lang Juden. Die Gruppe, die sich um Jesus scharte, hatte wie alle anderen Gruppierungen im Judentum die selbe Frage: Wie können wir die Weisungen und Gebote Gottes in unserer Zeit verstehen und leben? Daher: Jesus stritt nicht mit einer anderen Glaubensgemeinschaft, sondern mit Menschen aus seinem eigenen Volk. „Aus Furcht vor den Juden“ konnte zur Zeit Jesu nur bedeuten: „Juden hatten Furcht vor Juden.“ Dies ist ähnlich erkenntnisarm wie heute zu sagen: „Kölner haben Furcht vor Kölnern.“ Joh 20, 19 lässt Rückschlüsse zu über die Spannungen zwischen Juden und den sich von ihnen abgrenzenden Christen zum Ende des 1. Jahrhunderts, als die Evangelien verfasst wurden, und nicht über die Stimmung der Jünger vor dem Pfingstereignis.
Diese Überlieferungsgeschichte, aber auch die sich aus solchen biblischen Stellen nährende Geschichte christlicher Judenfeindlichkeit, macht es heute so schwierig, die Texte einfach vorzulesen. Vielleicht offenbart ein Weglassen hier gar eine größere Texttreue.
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