Foto: Kirchentag |
von Peter Otten
»Soviel du brauchst.«: Auf Schritt und Tritt begegnet dieser Satz, jeden Tag. Weißer Satz auf blauem Grund. Flattert auf Fahnen, wird auf Beutel und Taschen herumgetragen, prangt auf Liederbüchern und Programmheften und schlingt sich auf Halstücher um Hälse, wobei dann mitunter in den Falten des Tuchs nur Bruchstücke zu sehen sind: »Soviel…« oder »viel…rauchst«. „Soviel du brauchst“ – das klingt auch am dritten Tag noch ziemlich lässig. Klingt nach einem, der einem guten Bekannten bei sich wohnen lässt, die Schlüssel rüberwirft und dazu auffordert, sich unbedingt wie zu Hause zu fühlen.
»Soviel du brauchst«: Das klingt immer noch nicht nach einem Kleinkrämer. Und in den Bibelarbeiten heute Morgen, wo es um den alttestamentarischen Schuldenerlass ging, hallte dieser Gedanke in vielen Auslegungen wieder. »Der Andere, der was schuldig bleibt, das kannst auch du sein«, darauf wies etwa der Theologe Jürgen Ebach hin. Im biblischen Gebot des Schuldenerlasses stecke die Wechselseitigkeit von »ich« und »du«, die aber nicht mehr als gesellschaftliche und gemeinschaftsbildende Norm erfahren werde, wo alles in Parallelgesellschaften zerfalle: Hier sind wir – und dort das Prekariat oder gerne auch »die Griechen«. Ebach erinnerte daran, dass Solidarität mit den griechischen Arbeitslosen nicht nur sein könne, sondern biblisch betrachtet auch sein müsse: »Geht es nicht hier auch um ein wechselseitiges Ich-du-Verhältnis?« Die Frage nach dem »Du« sei zentral: »Wenn ich die Bibel höre, dann höre ich nicht, was sie mir sagt, sondern was sie dir sagt. Und ich darf mich mit hinein nehmen lassen.« Das, was ich habe, kommt immer von einem anderen.
»Soviel du brauchst« ist etwas anderes als: »Meinst du nicht, es reicht jetzt?« Es steckt die aufreizende Lässigkeit desjenigen darin, der nicht daran glaubt, übers Ohr gehauen zu werden. Oder sich zumindest keinen Kopf darum macht. Letztlich steckt in diesem Gedanken der Kernpunkt von Religion, nämlich Vertrauen zu stiften. »Soviel du brauchst« ist in diesen Tagen auch ein Plädoyer gegen Absicherungswahn, nerviges Wissenwollen und Dauercontrolling. Es ist ein Bekenntnis, an das Geheimnis glauben zu wollen – und das schwierige Vertrauen zu wagen, dass da einer ist, der es doch gut mit mir meint.
erschienen im Publik-Forum online-Tagebuch
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