Foto: churrli46/www.pixelio.de |
Ich habe heute morgen ein atemberaubendes Stück Radio gehört. Es heißt "Lebensberichte aus Nordkorea" und besteht lediglich aus O-Tönen geflüchteter nordkoreanischer Bürgerinnen und Bürger, hin und wieder unterbrochen durch Interviewfragen. Aber nicht nur der Inhalt fesselt, auch die Art des Stückes ist in seiner Reduzierung ganz großes Ohrenkino. Einen kleinen Teil des Manuskripts habe ich mal hier reingesetzt. Das ganze Stück kann man hier nachlesen und hier nachhören. Manchmnal gerät man an Geschichten, die machen einen nur
noch stumm, weil sie selbst so groß sind, so unglaublich verstörend, wie
aus einer anderen Welt und einer anderen Zeit, die aber doch unsere
Welt und unsere Zeit ist. Diese ist eine davon.
"Unsere Familie kommt aus einem Ort ganz im Norden, in der Nähe des Tumen-Flusses, der die Grenze zu China bildet. Mein Vater hat in der sogenannten Zwanzigster-Januar-Fabrik gearbeitet und meine Mutter war im Krankenhaus des Kohlebergwerks angestellt. Unsere Familie war zwar nicht richtig wohlhabend, aber wir waren auch nicht arm. So ging es ungefähr bis zu meinem zehnten Lebensjahr. Ich erinnere mich, dass dann die Wirtschaftskrise in Nordkorea begann. Meine Mutter sagte immer, wir sind bis zu dieser Zeit groß geworden, ohne auch nur einmal Kleidungsstücke mit Löchern getragen zu haben.
Als ich in die vierte Klasse ging, gab es so ein Erlebnis. Ich war nach Schulschluss auf dem Weg nach Hause und lief also mit den anderen in einer Gruppe. Plötzlich wurde mir so schwindelig, dass ich schon Sternchen sah und mir schwarz vor Augen wurde. Trotzdem hielt ich mich auf den Beinen und fiel auch nicht in Ohnmacht. Nachdem ich mich dann wieder ein wenig gefangen hatte, ging ich
einfach nach Hause, und sagte niemandem etwas davon. Da ist mir das erste Mal richtig bewusst geworden, dass ich wohl wirklich nicht genug zu essen bekomme.
Ich muss wohl … zwölf …
… nein, elf Jahre alt war ich da.
Wenn ich dann also mittags von der Schule nach Hause kam und den Deckel des Eisentopfs anhob, waren vier Schüsselchen darin. In jeder Schüssel war exakt gleich viel Maisbrei. Es war nicht so, dass mein Vater eine größere Portion bekam, weil er der Vater war, oder ich nur wenig, weil ich noch klein war. Von da an war es dann so. Zuerst gab es noch Mais. Nach einiger Zeit gab es
schließlich nur noch einen Brei aus Mais und Wasser und später gab es mehr und mehr Tage, an denen wir gar kein Mittagessen hatten und hungern mussten. Als ich noch zur Schule ging, gab es immer wieder Klassenkameraden, die nicht mehr kamen. Schon da gab es bereits viele Fälle von Leuten, die zu Tode verhungert waren, oder Kinder, die von ihren Eltern zurückgelassen wurden. Da hörte ich dann auf zu denken, dass man trotz des Hungers in die Schule muss. Es kam ein paar Mal vor, dass mein Lehrer oder meine Freunde mich zu Hause aufsuchten, aber ich verriegelte dann die Tür und tat so, als würde ich sie nicht hören. Und irgendwann kam niemand mehr. Als es Herbst wurde, folgte ich meiner Mutter auf die Felder, um Ähren aufzusammeln, die nach der Ernte liegengeblieben waren. So etwas haben wir dann gemacht.
Wenn ich dann also mittags von der Schule nach Hause kam und den Deckel des Eisentopfs anhob, waren vier Schüsselchen darin. In jeder Schüssel war exakt gleich viel Maisbrei. Es war nicht so, dass mein Vater eine größere Portion bekam, weil er der Vater war, oder ich nur wenig, weil ich noch klein war. Von da an war es dann so. Zuerst gab es noch Mais. Nach einiger Zeit gab es
schließlich nur noch einen Brei aus Mais und Wasser und später gab es mehr und mehr Tage, an denen wir gar kein Mittagessen hatten und hungern mussten. Als ich noch zur Schule ging, gab es immer wieder Klassenkameraden, die nicht mehr kamen. Schon da gab es bereits viele Fälle von Leuten, die zu Tode verhungert waren, oder Kinder, die von ihren Eltern zurückgelassen wurden. Da hörte ich dann auf zu denken, dass man trotz des Hungers in die Schule muss. Es kam ein paar Mal vor, dass mein Lehrer oder meine Freunde mich zu Hause aufsuchten, aber ich verriegelte dann die Tür und tat so, als würde ich sie nicht hören. Und irgendwann kam niemand mehr. Als es Herbst wurde, folgte ich meiner Mutter auf die Felder, um Ähren aufzusammeln, die nach der Ernte liegengeblieben waren. So etwas haben wir dann gemacht.
Wir verkauften als erstes den Fernseher, und danach die Nähmaschine. Nähmaschinen gab es damals nicht so viele, die war schon einiges wert. Später verkaufte unser Vater dann die Möbel und nach und nach unser gesamtes Hab und Gut, teilweise tat er das auch heimlich, ohne es mit uns abzusprechen. Mein Vater hatte ein sehr freundliches und sanftes Gemüt, aber zu der Zeit habe ich meinen Vater dafür sogar ein wenig gehasst. Alles wurde verkauft. In Nordkorea wird ja alles wiederverwertet, so dass wir auch unsere Anziehsachen verkauften, auch wenn wir sie noch gerne getragen hätten. So lebten wir, bis wir wirklich nur noch besaßen, was wir gerade anhatten. Wir lebten in vollkommen ausgeräumten Zimmern.
Eines Tages ging meine ältere Schwester zur Schule und ich blieb zu Hause. Ich war zu schwach. Früh morgens hatte ich gehört, wie mein Vater auf die Toilette ging als wir schliefen, danach legte er sich wie immer wieder hin. Da er vom Hunger sehr krank war, ließen wir ihn den ganzen Morgen schlafen und meine Mutter und ich erledigten, was zu erledigen war. Aber mein Vater war einfach zu
still, weswegen meine Mutter nach ihm schaute. Sein Atem ging sehr unregelmäßig und setzte auch mal aus … ich beobachtete ihn die ganze Zeit über ganz regungslos. Meine Mutter schüttelte und schlug ihn, doch er konnte nicht mehr aufstehen.
Zu dieser Zeit war es so, dass viele Wohnungen leer standen. Es gab unzählige unbewohnte Häuser, zum Teil, weil die Bewohner verhungert waren, oder weil sie in andere Landesregionen gezogen waren. Es gab viele solcher Fälle, und wir gehörten dazu. Nachdem mein Vater gestorben war, haben wir keinen anderen Ausweg mehr gesehen, als nach China zu flüchten. Es war ein sehr kalter Winter. Aus den Möbeln, die wir nicht losgeworden waren, machten wir Kleinholz, ebenso aus unserer Wohnungstür und den Fensterrahmen, und verkauften das als Feuerholz.
Von unserem Zuhause blieb nichts außer Zement."
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen