Samstag, 20. Oktober 2012

Die Eigeninteressen der Beharrung

Foto: sparkie/www.pixelio.de
"Viele Katholiken haben tiefer greifende Fragen als die nach dem Zölibat oder dem Frauenpriestertum", sagte der Essener Bischof Franz-Josef Overbeck vor zwei Tagen. Die Wiederholung einer altbekannten These: Die, die Fragen nach Struktur und Form stellen, sind bestenfalls oberflächlich. Und nur, wer die Oberfläche beiseite lässt, landet im warmen Ozean (amtlich bereitgestellten) Glaubens. Oder anders gesagt: Die Form hat mit dem Inhalt nichts zu tun. Unverbesserlich ist der, der sich an Form und Strukturen abarbeitet, schlau hingegen die, die sie akzeptieren und keine Fragen stellen. "Ihnen ist wichtig, ihren Glauben an Gott zu leben und – salopp gesagt – nicht andauernd über Sexualmoral zu diskutieren. Sie suchen Besinnung, Orientierung und lassen sich ihre Entscheidungen, wie sie leben, nicht mehr abnehmen."

Das mag so sein, dass es derlei Katholikinnen und Katholiken gibt. Was ist aber mit denen, die das eine tun und das andere aus Liebe zu Gott und aus Treue zum Evangelium nicht lassen wollen?

Dass es Menschen gibt, für die Form und Struktur auf der einen sowie Inhalt auf der anderen Seite zwei nicht zu trennende Seiten einer Medallie ihres Glaubens sind - das scheint man amtlicherseits überwiegend gar nicht mehr für möglich zu halten. Die litaneiartige Wiederholung der These, der eigentliche Grund für die Schwierigkeiten der Kirche sei der Gläubigenmangel bzw. eine Glaubenskrise, und die habe mit Form und Struktur nichts zu tun, macht nicht nur langsam müde, sie ist auch theologsich fragwürdig. "Tatsächlich hängt die Frage nach der Attraktivität der Kirche daran," so kürzlich der Religionssoziologe Franz-Xaver Kaufmann,  "ob man ihr zutraut, dass sie etwas mit dem Göttlichen zu tun hat."

Von Goethe stammt der Gedanke: "Das Was bedenke, mehr das Wie." Und genau das trifft den Kern: Ist die Kirche - gerade! mit ihren Formen und Strukturen - der Abglanz des nahenden Reiches Gottes von Gerechtigkeit, Liebe, Frieden und Nachhaltigkeit? "Warum", so fragt Overbeck hingegen, "soll ich mich festkämpfen an Punkten, die auf absehbare Zeit nicht zu ändern sind? Darin sehe ich keinen Sinn, denn mir geht es um einen lebendigen Glauben, wie wir ihn jetzt leben können." Nein, diese Gedankentrennung funktioniert nicht. "Ich frage mich, ob die Kirche mit der Sakralisierung der eigenen Hierarchie nicht genau jene Lücke moderner Gesellschaften verdeckt, die Jürgen Habermas das durch die Aufklärung Unabgegoltene der Religion nennt, anstatt sie sichtbar zu machen", fährt Kaufmann dagegen fort. "Unsere Kultur braucht - im Sinne der negativen Theologie - Diskurse und zeichenhafte Taten, welche verdeutlichen, dass die Sehnsucht der Menschen über Wirtschaftswachstum und längere Lebenserwartung hinausreicht."

Und dieser Sehnsucht hat die Kirche, auch in ihrer Struktur, zu dienen. Thomas Söding bemerkt in seinem lesenswerten Blog von der Bischofssynode, den Bischöfen sei im Grunde klar, dass sie bei der Neuevangelisation auf "die anderen" Menschen angewiesen seien, allerdings: "Prägen ihre Lebenserfahrungen das Glaubenswissen der Kirche? Dass die Bischöfe als Verkünder und Lehrer gefragt sind, ist nicht nur Theorie, sondern Praxis. Aber sie müssen sich auch davon Rechenschaft ablegen, ob sie hinhören, verstehen und lernen – und dann so sprechen können, dass nicht die Interessen der Institution, sondern die Hoffnungen der Menschen im Mittelpunkt stehen, der gläubigen und der nicht (so) gläubigen." Wer nicht bereit ist, die Institution selber kritisch anzuschauen, gerade weil sie als Ursakrament beredt Zeugnis für das Evangelium ablegt, muss sich in der Tat fragen lassen, ob er die eigenen Interessen der Beharrung nicht über den Auftrag des Evangeliums stellt.




6 Kommentare:

  1. »Dass es Menschen gibt, für die Form und Struktur auf der einen sowie Inhalt auf der anderen Seite zwei nicht zu trennende Seiten einer Medallie ihres Glaubens sind - das scheint man amtlicherseits überwiegend gar nicht mehr für möglich zu halten.«

    Das ist etwas, das mich auch immer wieder wundert: Daß lehramtlicherseits Form und Struktur der Kirche so gering geschätzt werden und gegen den »eigentlichen« Inhalt des Glaubens ausspielen. Diese Trennung kommt mir seltsam unkatholisch vor: Eine fast schon protestantische Ekklesiologie, in der es auf sola fide, solus Christus ankommt und die Organisation der Kirche nur eine sehr nachgeordnete Frage ist. Dabei ist die Kirche als Organisation in der Welt, als soziologische Größe doch gerade ein wichtiger Aspekt katholischer Ekklesiologie: Nicht einfach nur ein hilfreicher Verein, nein, subsistit in, die weltliche Kirche selbst ist theologische Größe und integraler Teil der gesamten Kirche.

    Und da ist die von Dir beschriebene Trennung doch sehr seltsam. Soll ich als guter Katholik jetzt nicht mehr die diesseitige Dependance der Kirche als mehr als einen Verein bürgerlichen Rechts mit bloß organisatorischer Bedeutung ansehen? Soll ich mir eine protestantische Ekklesiologie zulegen, damit Bischof Overbeck zufrieden mit mir ist?

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    1. Ich kann mir nicht vorstellen, dass sich hinter dem katholischen Lehramt in Wirklichkeit eine verhüllte Form des Protestantismus verbirgt:-) Letztes Endes steht hinter dem beobachteten Sachverhalt die Frage, wie amtlicherseits Autorität (und die damit verbundene Macht) verstanden wird. Jedenfalls lässt sie sich nicht in Frage stellen und braucht daher auch nicht weiter Gegenstand der Betrachtung oder gar der Diskussion von irgendwem anderem zu sein.

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  2. Wenn die Frage nach Struktur und Form nicht zu den "tiefer greifenden" Fragen gehört, müsste man mit ihr doch auch von Seiten der kirchlichen Obrigkeit gelassener umgehen können, als es tatsächlich geschieht. So ergibt sich ein Widerspruch: Die Abqualifizierung von Strukturfragen als oberflächlich (jedenfalls nicht "tiefer greifend") geht einher mit der Sakralisierung der gegebenen Struktur.

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    1. Womöglich hilft das Bild von Norbert Lüdecke und Georg Bier weiter: "Die hierarchische Struktur der Kirche kann im Organismusbau verstanden werden als der Knochenbau. Auf ihn wirkt permanent die demokratisch-rechtsstaatliche Schwerkraft moderner Gesellschaften ein. Um ihr nicht in mangelnder Körperspannung schlaff zu erliegen, braucht es einen kräftigen Muskel- und Sehnenapparat. Er wird gebildet von der christlichen Grundtugend der Bereitschaft zum Gehorsam (...), d.h. der Anerkennung der rechtmäßigen Autorität in Gesinnung und Verhalten und in der Unterwerfung unter ihren legitimen Befehl" (Lüdecke/Bier, Das römisch-katholische Kirchenrecht. Eine Einführung, Stuttgart 2012, S. 78). Dann wäre die beobachtete Sakralisierung nur eine notwendige, zumindest schlüssige Folge davon.

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  3. "Warum soll ich mich festkämpfen an Punkten, die auf absehbare Zeit nicht zu ändern sind? " Gute Frage! Haben sich bestimmt auch die Frauen und Männer gestellt, die sich zunächst aussichtslos gegen Apartheid engagiert haben. Oder auch jeden Morgen die MitarbeiterInnen bei Miserior und Adveniat: denn in absehbarer Zeit wird auch der Hunger nicht von der Welt verschwinden. Oder auch die Synoden-Bischöfe in Rom: denn der große Sprung vorwärts werden die Ansprachen in Rom auch nicht auslösen. Und dennoch sagen die Bischöfe immer wieder das selbe. Dass Wahrheitsfragen unabhängig von Erfolgsaussichten sind habe ich zumindest von bischöflichen Predigten gelernt. Motivation genug weiter fest zu kämpfen.

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  4. Man kann einen guten Wein sowohl aus einem schönen KristallGlas trinken,
    aber auch aus einem....Nachttopf!

    Gleicher Genuss???!!

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