Foto: Peter Otten |
Dazu ist in letzter Zeit eine Reihe von bemerkenswerter Literatur entstanden. Wolfgang Beinert, emeritierter Professor für Dogmatik an der Universität Regensburg hat schon 2009 in einem Buch den Stand der Diskussion zusammengetragen. Während der Eichstätter Pastoraltheologe Alois Schifferle hingegen seinerzeit eine exzellente und äußerst lesenswerte Gesamtdarstellung der Geschichte der Piusbruderschaft und seiner Tradition veröffentlicht hat.
Das Denken der Piusbruderschaft versteht man nicht ohne den Blick zurück in das 19. Jahrhundert. Die Französische Revolution ist vorbei. Das Königtum, Garant der katholischen Kirche in Frankreich, ist untergegangen. Die Folge ist die Trennung von Kirche und Staat. Alfons Schifferle spannt in seinem Buch den Bogen von dieser Epoche bis in die Gegenwart hinein. Denn die Hauptpunkte der Anklage der Piusbruderschaft und ihres Gründers Marcel Levebvre gegen das Zweite Vatikanische Konzil sind nur auf diesem Hintergrund zu verstehen: Nach ihrer Ansicht sind durch das Konzil die Irrtümer der Französischen Revolution - Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit - in die Kirche eingezogen. Die katholische Kirche als Verwalterin und Garantin der Wahrheit hat ihre exklusive Position für immer verloren. Ein extremes traditionalistisches Denken in Teilen des Katholizismus ist die Folge:
"Die Gefahr, die im Traditionalismus auftaucht, liegt in dem Bemühen, durch Verschieben theologischer Fragen politische Interessen durchzusetzen. (…) Seine Ideen sind restaurativ nach der Vorstellung einer Autoritätskonzeption, wie sie in der Zeit vor der Aufklärung vorherrschte, nämlich als Selbstdarstellung der Autorität, ihrer Macht und als Abbruch jeder Argumentation."
Schifferle zeigt durch seine philosophie- und theologiegeschichtliche Einordnung, dass es heutigen traditionalistischen Bewegungen wie den Piusbrüdern weniger um simple Liturgiefragen geht. Traditionalisten geht es immer um den Erhalt absoluter Wahrheiten, beispielsweise auch in der Organisation des Staates, wie sie der französische Philosoph Joseph-Marie de Maistre beschrieben hat:
Schifferle zeigt durch seine philosophie- und theologiegeschichtliche Einordnung, dass es heutigen traditionalistischen Bewegungen wie den Piusbrüdern weniger um simple Liturgiefragen geht. Traditionalisten geht es immer um den Erhalt absoluter Wahrheiten, beispielsweise auch in der Organisation des Staates, wie sie der französische Philosoph Joseph-Marie de Maistre beschrieben hat:
"Der Mensch ist geschaffen, um anzubeten und zu gehorchen. Sein Ziel ist die Errichtung einer äußeren Theokratie. Der Papst ist die Autorität für die Könige, diese für den Adel, dieser für das Volk. Wie diese Autoritäten in abgestufter Folge die Depositäre, (also die Verwalter) der göttlichen Macht sind, so auch der göttlichen Wahrheit."
Wolfgang Beinert, emeritierter Professor für Dogmatik an der Universität Regensburg wendet in seinem Sammelband "Vatikan und Piusbrüder - Anatomie einer Krise" seinen Blick auf den Stand der aktuellen Diskussion. Dabei berührt er vor allem die Frage, welche in den jüngsten Gesprächen der Piusbruderschaft mit dem Vatikan eine zentrale Rolle spielten: Wie haben wir das Zweite Vatikanische Konzil zu verstehen? Natürlich stehe das Zweite Vatikanische Konzil in der Reihe der Vorgängerkonzilien, betont er. Dennoch:
Wolfgang Beinert, emeritierter Professor für Dogmatik an der Universität Regensburg wendet in seinem Sammelband "Vatikan und Piusbrüder - Anatomie einer Krise" seinen Blick auf den Stand der aktuellen Diskussion. Dabei berührt er vor allem die Frage, welche in den jüngsten Gesprächen der Piusbruderschaft mit dem Vatikan eine zentrale Rolle spielten: Wie haben wir das Zweite Vatikanische Konzil zu verstehen? Natürlich stehe das Zweite Vatikanische Konzil in der Reihe der Vorgängerkonzilien, betont er. Dennoch:
"Auf der anderen Seite ist das aber ein völlig neuer Konzilstypus gewesen insofern, also bis dato - sich die bisherigen 20 ökumenischen Konzilien immer gegen irgend jemand, gegen irgendeine Häresie oder zweifelhafte Lehre gerichtet hatten oder gegen irgendwelche Gemeinschaften. Das ist beim Zweiten Vatikanum nicht der Fall. Sondern es will ein Konzil der Kirche über sich selber sein."
Und das von Papst Johannes dem 23. geforderte "Aggiornamento" - die Verheutigung der Kirche - sei eben vorrangig eine Aufgabe der Hirten, der Pastores. Mit Recht habe der Papst also von einem Pastoralkonzil gesprochen. Stimmt denn die Einschätzung der Piusbruderschaft, ein Pastoralkonzil sei weniger verbindlich? Beinert widerspricht:
"Im Grunde handelt die Kirche immer pastoral. Sie hat keine andere Aufgabe, als den Menschen die Botschaft Christi zu vermitteln. Auf der anderen Seite ist das immer verbindlich, denn es ist immer eine bestimmte Botschaft, nicht irgendwelche netten Lebensregeln."
"Im Grunde handelt die Kirche immer pastoral. Sie hat keine andere Aufgabe, als den Menschen die Botschaft Christi zu vermitteln. Auf der anderen Seite ist das immer verbindlich, denn es ist immer eine bestimmte Botschaft, nicht irgendwelche netten Lebensregeln."
Dennoch weist der Freiburger Fundamentaltheologe Magnus Striet in seinem Beitrag darauf hin, dass auch der jetzige Papst bereits als Vorsitzender der Glaubenskommission genau diesen Unterschied der Verbindlichkeit von Konzilien benannt habe:
"In einer Rede am 13. Juli 1988 (…) spricht (er) davon, dass das Konzil „kein Dogma“ definiert habe „und sich bewusst in einem niederen Rang als reines Pastoralkonzil ausdrücken wollte“. Und trotzdem interpretierten „es viele, als wäre es fast das Superdogma, das allen anderen die Bedeutung nimmt.“
Im Umgang mit dem Konzil gehe es Ratzinger darum, dessen historische Identität aufzudecken: ein bruchloses kontinuierliches Verstehen aus der kirchlichen Lehr-Tradition. Dies leiste nach Ratzinger der Prozess der Rezeption, erläutert Striet. Und zwar folgendermaßen:
"Über die Buchstabentreue hinaus scheint es eine normative Interpretationsinstanz zu geben, die sich „im Leben der Kirche“ nicht nur zu Wort meldet, sondern sich dann auch legitimerweise in entsprechenden Klärungs- und Ausscheidungsprozessen durchsetzt. Nicht das Konzil ist demnach die höchste Leitungsinstanz in der Kirche, sondern es gibt eine dem Konzil übergeordnete Leitungsinstanz."
"In einer Rede am 13. Juli 1988 (…) spricht (er) davon, dass das Konzil „kein Dogma“ definiert habe „und sich bewusst in einem niederen Rang als reines Pastoralkonzil ausdrücken wollte“. Und trotzdem interpretierten „es viele, als wäre es fast das Superdogma, das allen anderen die Bedeutung nimmt.“
Im Umgang mit dem Konzil gehe es Ratzinger darum, dessen historische Identität aufzudecken: ein bruchloses kontinuierliches Verstehen aus der kirchlichen Lehr-Tradition. Dies leiste nach Ratzinger der Prozess der Rezeption, erläutert Striet. Und zwar folgendermaßen:
"Über die Buchstabentreue hinaus scheint es eine normative Interpretationsinstanz zu geben, die sich „im Leben der Kirche“ nicht nur zu Wort meldet, sondern sich dann auch legitimerweise in entsprechenden Klärungs- und Ausscheidungsprozessen durchsetzt. Nicht das Konzil ist demnach die höchste Leitungsinstanz in der Kirche, sondern es gibt eine dem Konzil übergeordnete Leitungsinstanz."
Wer ist aber die normative Leitungsinstanz? Der Heilige Geist? Oder doch eher der Papst? Für Friedrich-Wilhelm Graf, Professor für Systematische Theologie an der Evangelischen Fakultät der Universität München ist die Sache klar. Er hat seinen Ratzinger gelesen und empfiehlt in seinem Beitrag diese Lektüre nicht nur Protestanten:
"Nur der „Primat des Papstes“ garantiere die „Einheit des Gottesvolkes“. Offenbarungsgehorsam, strikte Bindung an die Lehre der Väter, Papsttreue, Sakramentalität und heiliger Ritus gelten ihm als entscheidende Kriterien wahrer Kirchlichkeit. (Dadurch) kann Ratzinger die sozialen Umwelten „der Kirche“ nur sehr unscharf wahrnehmen. (…) In seiner Theologie gibt es für Außenperspektiven auf „die Kirche“ als gesellschaftlichen Akteur keinen systematischen Ort."
"Nur der „Primat des Papstes“ garantiere die „Einheit des Gottesvolkes“. Offenbarungsgehorsam, strikte Bindung an die Lehre der Väter, Papsttreue, Sakramentalität und heiliger Ritus gelten ihm als entscheidende Kriterien wahrer Kirchlichkeit. (Dadurch) kann Ratzinger die sozialen Umwelten „der Kirche“ nur sehr unscharf wahrnehmen. (…) In seiner Theologie gibt es für Außenperspektiven auf „die Kirche“ als gesellschaftlichen Akteur keinen systematischen Ort."
Wenn man die Weihnachtsansprache des Papstes von 2005 mit in die Diskussion nimmt, dann unterscheidet Benedikt in Bezug auf das 2VK zwischen einer "Hermeneutik der Diskontinuität" und einer "Hermeneutik der Reform"! Bezüglich der Lehre eines "katholischen Staates" wie ihn die Piusbrüder fordern, diagnostiziert der Papst eine Diskontinuität, die er auch für angebracht hält. Bezüglich der offenbarten Glaubenswahrheiten aber sei eine durchgängige Kontinuität garantiert, auch in den Dokumenten des 2VK.
AntwortenLöschen„Das Zweite Vatikanische Konzil hat mit dem Dekret über die Religionsfreiheit einen wesentlichen Grundsatz des modernen Staates anerkannt und übernommen und gleichzeitig ein tief verankertes Erbe der Kirche wieder aufgegriffen. [...] Die Märtyrer der frühen Kirche sind für ihren Glauben an den Gott gestorben, der sich in Jesus Christus offenbart hatte, und damit sind sie auch für die Gewissensfreiheit und für die Freiheit, den eigenen Glauben zu bekennen, gestorben. [...] Das Zweite Vatikanische Konzil hat durch die Neubestimmung des Verhältnisses zwischen dem Glauben der Kirche und bestimmten Grundelementen des modernen Denkens einige in der Vergangenheit gefällte Entscheidungen neu überdacht oder auch korrigiert... [und so] ihre wahre Natur und ihre Identität bewahrt und vertieft. Die Kirche war und ist vor und nach dem Konzil dieselbe eine, heilige, katholische und apostolische Kirche, die sich auf dem Weg durch die Zeiten befindet.“ (vgl. http://www.vatican.va/holy_father/benedict_xvi/speeches/2005/december/documents/hf_ben_xvi_spe_20051222_roman-curia_ge.html)