Sonntag, 25. September 2011

Den Papst anklagen - geht das?

Ein provozierendes Gedankenspiel: Ein britischer Anwalt glaubt, den Papst wegen der Missbrauchsverbrechen vor Gericht stellen zu können. Sein Buch, dass in Großbritannien im renomierten Penguin-Verlag erschienen ist, veröffentlichte in Deutschland nun der Gabriele-Verlag, der zur esoterischen Gemeinschaft Universelles Leben gehört. Und das Manuskript sei gar nicht mal teuer gewesen, heißt es von der Geschäftsleitung. Ist das Thema für einen großen deutschen Verlag zu provokant? Mag sein. Interessant ist es allemal.

Foto: www.pixelio.de/Thorben Weng
Geoffrey Robertson, 1946 in Australien geboren, seit 1988 Kronanwalt, ein Ehrentitel für besonders geachtete und erfahrene britische Juristen, ist einer der bekanntesten Menschenrechtsanwälte der Welt. Zu seinen Mandanten gehören Salman Rushdie genauso wie der Gründer von wikileaks, Julian Asange. In seinem aktuellen Buch nimmt er sich den Papst vor: Der sei verantwortlich für systematische sexuelle Gewalt gegenüber Kindern und gehöre daher vor den Internationalen Gerichtshof in Den Haag.
Robertson wirft dem Vatikan vor, sich in innerstaatliches Strafrecht eingemischt zu haben, indem er Verbrecher nicht den Behörden übergeben habe. Mit seinem eigenen kanonischen innerkirchlichen Recht entziehe er Beschuldigte dem weltlichen staatlichen Recht und schütze sie durch Nichtanzeigen und eigene geheime Ermittlungen vor Strafverfolgung:
 

„Die Kirche mag, wie andere Organisationen auch, das Recht haben, ihre Mitglieder zu disziplinieren oder auszuschließen. Doch (…) es gibt kein „Recht“ einer Kirche, weder angeboren noch sonst wie, ein paralleles Rechtssystem für Sexualverbrechen durch Priester und Ordensleute zu errichten, um so weniger, da dieses Recht darauf hinwirkt, Täter der Gerechtigkeit zu entziehen, wie die Allgemeinheit und das Gesetz sie verstehen. Auf politischer Ebene läuft das auf einen heimlichen Eingriff in die Gesetze eines befreundeten Staates (…) hinaus.“

In der schon von der Justiz der Vereinigten Staaten erörterten Frage, ob der Papst als Staatsoberhaupt vor Strafverfolgung geschützt sei, vertritt Robertson die These, der Vatikan sei gar kein Staat. Der Vatikan könne Souveränität nur im metaphysischen Sinn einer geistlichen Macht über seine religiösen Anhänger, beanspruchen. Auch die Thesen anderer Staatsrechtler, der Papst besitze als nichtstaatliches Völkerrechtssubjekt Immunität oder auch daher, weil er inzwischen als eine Art modernes Weltgewissen spreche, lässt er nicht gelten. Mit dem Blick auf inzwischen in den USA zugelassene Zivilklagen zeigt Robertson, dass es zumindest dort Gerichte gibt, für die eine persönliche Verantwortung des Papstes nicht grundsätzlich abwegig ist:
 

„Der Fall O´Bryan geht von der These aus, dass Bischöfe Angestellte oder Vertreter oder Beamte des Heiligen Stuhls sind und dass es zur Begründung einer Haftung (…) ausreicht, nachzuweisen, dass der Heilige Stuhl eine „substantielle Kontrolle“ über sie ausübt. Dies entspricht zweifellos der Position nach kanonischem Recht, das bestimmt, dass der Papst „höchte, volle, unmittelbare und universale ordentliche Gewalt“ in der Kirche besitzt.“

Robertsons Buch ist dann am stärksten, wenn er konkrete Beispiele anführt und einzelne Fälle beschreibt. So befindet sich im Buch ein offizielles Protokoll einer Aussage von Weihbischof Thomas Curry aus einem Verfahren, das wegen mangelnder Dienstaufsicht gegenüber dem Priester und Kinderschänder Michael Baker gegen die Diözese Los Angeles angestrengt wurde:
 

Frage: Wie gelangte die Erzdiözese zu dem Beschluss, es sei angemessen, Pfarrer Baker wieder in sein geistliches Amt einzusetzen?

Antwort: Weil er selber kam und sich anzeigte und gestand; und wir wollten ihn nicht auf eine Position versetzen, in der er mit Kindern zu tun haben würde.

Frage: Man hat also Pfarrer Baker mitgeteilt, dass er nicht mit Kindern zusammen sein dürfte – welche sonstigen Maßnahmen hat die Erzdiözese – wenn überhaupt – ergriffen, um Kinder zu schützen?

Antwort: (…) Wir sagten dem Seelsorger der Gemeinde, dass er keinen Dienst bei Kindern versehen dürfe.

Frage: Haben Sie dem Seelsorger mitgeteilt, dass Pfarrer Baker ein Kinderschänder war?

Antwort: Nicht, dass ich wüsste.

Frage: Dachten Sie, es sei wichtig für den Seelsorger, das zu wissen?

Antwort: Ich hielt es für wichtig, dass er wusste, dass er nichts mit Kindern zu tun haben durfte.

Robertson betont immer wieder, dass den Opfern am besten dadurch geholfen werde, wenn alles dafür getan werde, die Täter anzuzeigen und zu verurteilen. In seinem Dauervorwurf, der Vatikan verhindere eine Anzeigenpflicht und betreibe damit die Verschleierung von Verbrechen, übersieht er aber, dass Hilfsorganisationen wie Zartbitter schon lange darauf hinweisen, dass es für ein Opfer und dessen Bewältigung der Folgen des Verbrechens manchmal besser ist, den Täter nicht anzuzeigen.

Robertsons Buch ist vor allem eine gute Informationsquelle und liest sich überwiegend wie das Plädoyer eines Staatsanwalts. Die direkte argumentative Sprache macht es spannend zu lesen, wenngleich der Leser über manche theologische und historische Ungenauigkeit und Plattheit stolpert. Mancher Zynismus und manche Polemik wirken dabei unnötig. Wer sich aber Robertsons provozierendem Gedankenspiel eines Papstes vor Gericht stellt, findet in dem Buch eine starke Argumentation, eben eine, wie man sie von einem guten Anwalt erwarten darf.


WDR 5, Diesseits von Eden, 25. September 2012 


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