"Auch das Fühlen bleibt merkwürdig stumm. Natürlich gibt es Entsetzen, Wut, Enttäuschung und vor allem Angst und Schrecken. Aber das sind Affekte, unmittelbare Reaktionen, keine Gefühle, die den Raum dessen, was sich da geöffnet hat, aushalten und ausmessen würden."
Peter Michalzik versuchte in der vergangenen Woche in einem bemerkenswerten Artikel in der Frankfurter Rundschau eine Beschreibung dessen, was gerade viele Menschen angesichts der unfassbaren Katastrophe in Japan empfinden, aber nicht in Worte bringen können. Weil jeder spürt: Ein Wort oder Satz ist je nach Perspektive zu lächerlich oder zu aufdringlich, jedenfalls unangemessen angesichts dessen, dass nicht zu fassen ist. Mitgefühl, das wäre eine Möglichkeit, aber es gebe keine Kommunikationsstuktur des Mitleids, sagt Michalzik. "Würde man still und mitfühlend zusehen, müsste man die Ereignisse, und sei es aus der Distanz, erst einmal ertragen. Man müsste sich eingestehen, dass man nichts tun kann. Das hätte etwas mit Achtung vor den Japanern, ihrer Angst und ihren Opfern zu tun."
Da taucht er auf, jener eigentlich sehr ungebräuchliche und altmodische Begriff vom Opfer. Er bedeutet für Michalzik etwas entschieden anderes, verstörendes. Opfer ist nicht mehr länger Folge eines unabänderlichen Schicksals. Im Opfer liegt für ihn eine zentrale Erkenntnis der Geschehnisse in Japan: "Die Wahrheit liegt, so pathetisch sich das anhört, im Opfer. Gott hat seinen Sohn, Agamemnon hat Iphigenie, die Mayas haben Mitbürger und die 300 Spartaner an den Thermopylen haben sich selbst geopfert. Das scheint alles aus einer ganz anderen Zeit zu stammen als der unseren. Aber jetzt hat das alte Wort Opfer durch die Männer von Fukushima seine Bedeutung mit einem Schlag zurückgewonnen." Michalzik sagt das fern von jedem Pathos, er skizziert wie mit belegter doch fester Stimme das, was auch wir Betrachter auf der anderen Seite der Erdhalbkugel mit Schrecken zur Kenntnius nehmen müssen: "Diese Männer sind der Preis, den wir – und dieses wir ist bewusst gewählt – den wir zu zahlen bereit sind. Sie sind keine Helden, sie sind das Menschenopfer."
Da ist es gesagt. Richtig gehört. Und man kann nicht so einfach über Sätze wie diese hinweg lesen: "Das Opfer, das die Männer bringen, ist die ultimative Gabe. Das bedeutet, es ist jene Gabe, die nie zurückgegeben werden kann. Deswegen werden die Nachfolgenden und Nachgeborenen, was immer geschieht, in der Schuld dieser Männer stehen. Nichts können die Überlebenden und hoffentlich Gesunden tun, um das zurückzugeben, was sie bekommen haben." Das Menschopfer sei die notwendige Folge davon, dass sich der Abgrund geöffnet habe, der eine Angst erzeuge, die durch nichts stillbar sei. Folge dessen, dass das Böse ins Rampenlicht getreten sei. Doch: "Wir haben Worte wie das Böse, das eng mit Sünde zusammenhängt, auch Worte wie Schuld und Opfer, längst verloren. Sie kommen uns antiquiert vor, sie stammen aus einer Welt, in der wesentliche Dinge nicht geregelt waren. Aber es ist wahrscheinlich genau diese wesentliche Dimension, die hier angesprochen wird. Eine Dimension, die nicht einfach in einem aktuellen Artikel über seine und die Arbeit der anderen 650000 Liquidatoren des Reaktors von Tschernobyl. "Rettet Europa!" sei ihre Ansage gewesen. Menschenopfer. Dazu gehören auch Kinder, die in Afrika für die Handyherstellung unter mafiösen Bedingungen Coltan abbauen. Oder chinesische Arbeiter in riesigen Handyfabrikationshallen. überführt werden kann, in Rechtsgutachten, Schuldprozesse und Schadensabschätzungen." "Die Menschen wurden in die Situation geschmissen wie Scheite ins Feuer", sagt Anatoli Koladin in
Japan bedeutet so etwas wie eine Zeitenwende. Wir spüren, dass diesmal nichts bleiben kann wie es war. Diesmal wirklich nicht. Und Änderungen werden ebenfalls, ja, Opfer nötig machen. Von jedem von uns, in seinem Verhalten, in seinem Konsum. Und es wird unbequem sein, teuer und schmerzhaft vielleicht auch. Doch kein Konsum, kein Wohlstand und kein bequemes Leben rechtfertigt Menschenopfer. Gerade für Christen ist dies eine harte Erkenntnis in der Fastenzeit, die mit dem Blick auf Karfreitag aber selbstverständlich sein müsste. "Deswegen werden die Nachfolgenden und Nachgeborenen, was immer geschieht, in der Schuld dieser Männer stehen. Nichts können die Überlebenden und hoffentlich Gesunden tun, um das zurückzugeben, was sie bekommen haben." Nach Jesu Tod am Kreuz sollte es eigentlich keine Opfer mehr geben müssen. Es gibt sie noch. Aber jetzt weicht Schulterzucken tiefer Beklemmung. Karfreitag und Ostern, in diesem Jahr keine Anlässe für allzu leichtfertiges Feiern.
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