Dienstag, 28. Dezember 2010

Wegen des Glaubens

"Xavier Beauvois' großartiger Film „Von Menschen und Göttern“ schildert die Ermordung der Mönche im algerischen Tibhirine. Die unaufgelöste Gewalttat schockierte damals die französische Nation. Beauvois stellt dazu die einzig richtige Frage," schreibt Alard von Kittlitz in der FAZ. Der Film ist eine eindringliche Katechese des Weihnachtsfestes. Und konfrontiert den Zuschauer schmerzhaft damit, dass niemand, der glaubt, dieser Katechese ausweichen kann. Ob er nun Mönch ist oder nicht.

Irgendwann sagt ein Mönch am Krankenbett von Bruder Luc, dem Arzt, ein Zitat von Blaise Pascal. Sinn gemäß geht es darum, dass ein Mensch erst dann richtig Bösartiges tue, tue er es im Namen der Religion. Das ist spürbar nicht nur im Blick auf diejenigen gemeint, die da schon längst das Dorf durchstreifen, die jeden Tag auch dem Kloster immer näher kommen, vor denen die Dorfbewohner voller Angst weglaufen. Das bleibt auch im Hinblick auf eine stetige Selbstreflexion der Mönche hin gesagt, im Blick auf ihre eigene Existenz und den persönlichen Glaubenskampf, den die Kamera in jedem der Männer entdeckt. Es ist im letzten die Frage, die dem Weihnachtsgeschehen zu Grunde liegt, deren Liturgie im Film ausdrücklich und ausführlich gezeigt wird. Und deren Dringlichkeit auch der Terroristenchef spürt, als im Abt Christian schon beim Weggehen fragt, ob er denn nicht wisse, dass man heute die Geburt des Friedensfürsten feiere. Wer ist das für mich, der Friedensfürst? Welche Bedeutung hat er für mich? Und welche ganz konkrete Konsequenzen hat das? Dies sind vielleicht die drei dringendsten Fragen, die der Film für den Zuschauer durchbuchstabiert. Denn der wird selbst Teil der ergreifenden, äußerst kargen Liturgie. Sitzt mit am Beratungstisch der Mönche, als jeder von ihnen erzählt, ob er angesichts der sich nähernden Gewalt bleiben oder gehen möchte und muss auf einmal selber die Frage beantworten: Wie hältst du´s mit der Gewalt? Der blickt wie in einen Spiegel, schaut er in Gesichter der Mönche, jedes von Lebensspuren gegerbt. Der Zuschauer kann in diesen zwei Stunden diesen Fragen nicht ausweichen. "Warum ist der Glaube so bitter?" liest jemand beim Mittagessen den anderen vor. Kein holder Knabe im lockigen Haar, nirgends. Abt Christian erörtert die Frage auch mit dem Imam, den er zu seinen Freunden zählt. Auch der findet den Glauben bitter. Seine Nichte ist erstochen worden, nur weil sie keinen Schleier tragen wollte. "Was geht in diesen Leuten vor? Das versteht man nicht mehr, das ist neu“, sagt der Imam. „Niemand von denen kennt den Koran! Die Welt wird verrückt, Christian!“ Und die Frau des Imams ergänzt mit dem Blick auf das Kloster: "Ihr seid der Baum, wir sind die Vögel. Wenn ihr geht, können wir nirgend Unterschlupf finden." Diese Begegnungen gehören zu den Eindrucksvollsten Szenen des Films. Höhepunkt aller Höhepunkte ist vielleicht das letzte gemeinsame Abendessen der Mönche. Sie ahnen, dass der Tod kommen wird. Bruder Luc bringt zwei Flaschen Wein. Ein Cassettenrekorder spielt Tschaikowskys Schwanensee. Minutenlang liest die Kamera in den Gesichtern eines jeden Mönches. "Mein Leben hat sich erfüllt," sagt jedes einzelne, der Zuschauer muss es zur Kenntnis nehmen. "Wegen meines Glaubens." Wenn Bruder Luc im Angesicht der Gewalt sagt, er sei ein freier Mensch, er habe vor nichts mehr Angst, wirkt das wie eine Provokation, ist aber eigentlich nur eine präzise Zusammenfassung des Glaubens, deren Spannungsbogen von der weihnachtlichen Krippe bis hinauf auf das verschneite Golgotha des Atlasgebirges der Film beschreibt. "Dass das nicht wie Wahnsinn aussieht und nicht wie Fanatismus, ist das große Verdienst des Films und der grandiosen Schauspieler, die ihr ganzes Seelenleben auf dem Gesicht tragen. „Von Menschen und Göttern“ ist am Ende kein Film über den Tod, sondern einer über menschliche Existenzmöglichkeiten: über die unglaubliche Vielfalt der Weisen, in der diese Spezies die Welt zu sehen vermag", schreibt Alard von Kittlitz in der FAZ. Und eine dringliche Anfrage an meine eigene Existenzweise, von der ich doch weiß, dass die Krippe sie auf den Kopf gestellt hat.

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