Erstaunlich offen und offensiv - und in bislang zumindest in Deutschland einzigartiger Weise - ging das Erzbistum München im ablaufenden Jahr mit der Erforschung der Missbrauchsverbrechen in ihren Reihen um. Unabhängige Anwälte erhielten nach ihren Angaben ungehinderten Zugang zu Personalakten, Handakten und Archiven. Sogar von den Geheimarchiven des Erzbischofs und des Generalvikars ist die Rede in dem Untersuchungsbericht, der am 2. Dezember vorgestellt wurde und in dem von 159 Täterpriestern die Rede ist, allerdings auch auf eine vermutlich erheblich höhere Dunkelziffer verwiesen wird. Insgesamt sind die Ergebnisse des Berichts erschreckend.
Die Reaktionen des Ordinariats auf die Missbrauchsvorwürfe bis ins Jahr 2002 hätten sich auf die Nichtwahrnehmung der Opfer, ihrer körperlichen und seelischen Verletzung und der teilweise dauerhaften Tatfolgen beschränkt. Von "gravierenden Aufklärungsmängeln" ist die Rede, von einem "Desinteresse gegenüber dem Opferschicksal" und der fehlenden Bereitschaft, sich den damit einhergehenden Konflikten zu stellen. Opfer seien auch dadurch "in krasser Form" missachtet worden, dass Täter versetzt worden und dadurch "sehenden Auges" neue Opfer in Kauf genommen worden seien. Und: "Diese nicht zu rechtfertigende Behandlung der Opfer ging einher mit einer inadäquaten Fürsorge für den jeweiligen Täter. Ihm und auch der Kirche galt jede Anstrengung, eine öffentliche Wahrnehmung des Tatgeschehens und – wie man meinte – einen Skandal zu vermeiden." Mit dieser aufklärungsfeindlichen Priorität stehe das Fehlen jeglicher innerkirchlicher Sanktion in der ganz überwiegenden Zahl der Fälle in Einklang. Die Vertuschung finde ihre Wurzel auch in einem fehlinterpretierten klerikalen Selbstverständnis, das einem brüderlichen Miteinander verpflichtet in einem im Ergebnis rücksichtslosen Schutz des eigenen Standes eine Rechtfertigung suche. Wahrung des Scheins also. Und Corpsgeist - Männercorpsgeist, Klerikercorpsgeist.
Denn auf Unwissenheit, also dass das, was geschehen ist, nicht so schlimm war, dass man um die Schwere des Verbrechens und die gravierenden Folgen für die Opfer nicht gewusst hat, darauf wird man sich nunmehr nicht mehr berufen können. Denn im Gegensatz zu Priestern und Diakonen wurden laut Gutachten in München Laienmitarbeiter schon immer schwer bestraft: "Diese Feststellungen sind umso gravierender als insbesondere gegenüber Laien bereits bei geringen Verstößen weitreichende Sanktionen ergriffen werden, die auch mit einer Gefährdung der wirtschaftlichen Existenzgrundlage einhergehen." Auch für Erpressungen homosexueller Priester finden sich Belege in den Akten. Viele Akten seien unvollständig, teilweise vernichtet, daher viele Fälle nicht mehr nachvollziehbar. Die Gutachter fordern einen jährlichen Tätigkeitsbericht des Missbrauchsbeauftragten, dem sie im übrigen deutlich mehr Kompetenzen einzuräumen empfehlen.
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