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Samstag, 11. Dezember 2021

Käsebrot und Pfirsischkernfleck

Nicht die Tatsache, dass an der Spitze der amtlichen katholischen Kirche Verantwortliche Verbrechen vertuscht haben und womöglich noch vertuschen überrascht mehr. Monströs ist, dass Menschen, für die Vertuschen gesund ist an nichts mehr glauben. Eine Kirche der Nihilisten aber braucht niemand.

Von Peter Otten

Die Recherche im Nachrichtenmagazin "Der Spiegel" endet mit einer bizarren Szene. Reporterinnen und Reporter stören eine Person, von der sie schreiben dürfen, dass sie auch unter Marx und Ackermann "ein ranghohes Mitglied des Bistums" war, beim Essen eines Käsebrots und beim Schauen eines Tierfilms. "Vertuscht haben wir" sagt die Person und lacht dazu. Vertuschen sei nichts Schlechtes, Vertuschen sei auch "gesund", es müsse nicht immer alles rauskommen. Und dann erläutert die Person, man habe die Akten der Priester nach ihrem Tod quasi gesäubert. Man sei sehr gründlich vorgegangen. Man habe sich die Akte angesehen und das Schlimmste herausgenommen, bevor sie ins Archiv gewandert sei. "Die Person im Wohnzimmer lacht ein bisschen über die eigene Teufelskerlhaftigkeit. Dann hält sie inne und fragt: "Aber das sagen Sie keinem, oder?"

Es ist nicht so, dass mich die Tatsache, dass an der Spitze der Amtskirche systematisch Verbrechen vertuscht worden sind noch überrascht. Die Monströsität dieser Szene überwältigt mich trotzdem. Denn diese Person, die in der Szene beschrieben wird eiht sich ein in die Schar von Stasi-Offizieren oder anderer willfähriger Stützen und Teile totalitärer politischer Systeme. Vertuschen ist gesund. Was für ein gruseliger schlimmer Satz. Für wen? Für was ist Vertuschen gesund? Doch nur für etwas, das Menschen wie diese Person als eine Art Kirchenvolkskörper zu betrachten scheinen. Vertuschen ist gesund. Sorry, aber das ist Nazi-Sprech.

 

Diese bizarre Szene lässt darauf schließen, dass Menschen wie "diese Person" nicht nur an einem Tisch im Bistum Trier sitzen. Sie sitzen überall. Man kann die Szene an dem Tisch mit dem Pfirsischfleck auf der Fernsehzeitschrift als eine traurige Szene aus einem Aki-Kaurismäki-Film abtun. Sie steht aber für etwas anderes. Sie steht ja auch dafür, was vom Stand der Gottesmänner übrig bleibt. Das Wandlitz-artige dieses Szene ist zutefst verstörend. Am Ende sitzen die, die in der Systematik der katholischen Kirche doch ad personam Heilsträger sein sollen vor einem Pfirsischkernfleck, gucken Tierfilme und sind davon überzeugt, sie haben das Richtige getan. Vertuschen und Akten vernichtet, den Kirchenvolkskörper gesund gehalten, Verbrecher in den eigenen Reihen gedeckt. 

 "Was sollen wir also tun?" fragen an diesem Sonntag die Menschen den Johannes, den sie in der Wüste besucht haben, und der gesagt hat, sie sollen umkehren. All die, die sich natürlich fraglos auch in der Nachfolge dieses Johannes sehen, all die, die an all den Tischen mit all den Käsebroten sitzen sagen also: "Vernichtet Akten. Vertuscht. Lügt. Das ist gesund." Das ist die Wahrheit. Nicht erst seit gestern. Aber das ist sie. Am Schluss bleibt ein Pfirsischkernfleck. Nichts weiter. Das Bizarre und Verstörende, was ja auch in all dieser unglaublichen Gewalt und in dieser willfährigen Bereitschaft, Straftaten und Verbrechen zu decken steckt, die Männer wie "diese Person" zeigen ist ja auch dies: Letztlich ist es blanker toter zynischer muffiger Atheismus, der in dieser Szene emporsteigt. Gottlosigkeit, ein Lieblingswort von Kardinal Meisner. Gottlos, das waren immer die anderen. Meine Mutter waren immer die suspekt, die "kinne Jott un kinn Jebott" mehr kannten. Keinen Gott und kein Gebot. Ich würde sie gern fragen, was sie zu dieser Szene zu sagen hätte. Da sitzen keine Teufelskerle, sondern leibhaftige "Düvel", Teufel, vielleicht das. Und sie könnte es kaum glauben.

Nun wissen wir: genau das, was die Hirten immer suggeriert haben stimmt ja nicht. Statt eines Biretts oder einer Mitra täte es auch ein Pepitahut. Kein Unterschied. Wer diese Szene an sich heranlässt, der entdeckt jedenfalls den puren zynischen Unglauben. Keine Spur mehr von dem weihnachtlichen Gott, der Trost in die Welt bringt und hilft, mit der Angst klarzukommen. Es ist nichts mehr da außer ein Pfirsischkernfleck. Im Zentrum der amtskirchlichen Heiligkeit bleibt das fleckige Nichts. "Diese Personen" glauben an nichts weiter. Hoffen auf nichts und lieben tun sie schon mal gar niemanden.

Damit steht alles auf dem Spiel. In der Arbeitsgruppe geistlicher Kulturwandel beim pastoralen Zukunftsweg haben wir vor über zwei Jahren ganz am Anfang unserer Überlegungen dem Erzbischof von Köln vorgeschlagen, in der damals kommenden Fastenzeit in allen Kirchen im Erzbistum Köln keine Eucharistiefeiern zu feiern. Im Verzicht auf das, was ja nach offizieller Lehre des Konzils "Quelle und Ziel" ist sahen wir damals eine Möglichkeit, neuen Grund für einen Kulturwandel im Bistum zu finden. Wir haben an eine Art Dauerkarsamstag bis Ostern gedacht. Ein disruptives Zeichen fanden wir. Natürlich wurde das nicht ernsthaft diskutiert. Besser es geht einfach immer weiter. Ein Hochamt nach dem anderen. Ein Fest nach dem anderen. Und jetzt halt wieder Weihnachten. Holder Knabe im lockigen Haar. Schlaf in himmlischer Ruhuh. Freudenträne leise fließ. Nach der Lektüre der Spiegelrecherche kommt mir das alles so vor wie ein Märchenwald. Wieder wirft einer einen Groschen in einen x-beliebigen Schlitz, wieder werden die Geißlein quietschend und rumpelnd aus der Uhr befreit. Wieder spuckt Schneewitchen den Apfel aus. Wieder quäkt einer In Dulci Jubilo. Wieder krächzt jemand die Geschichte von den Kranken, die den Arzt brauchen und nicht die Gesunden. Es geht immer so weiter, immer so weiter, Jahr um Jahr, und am Schluss sitzt einer an einem Couchtisch und guckt einen Tierfilm. Bevor wieder einer einen Groschen irgendwo reinwirft und es wieder von vorne losgeht.

Was wäre zu tun? Da ist sie wieder, die Frage der Menschen in der Wüste an Johannes. Mir sagt die Geschichte von der Person mit Käsebrot, Tierfilm und Pfirsischkernfleck, dass ich die Institution, die das ermöglicht so ernst zu nehmen ist, wie sie eben ernst zu nehmen ist. Er wisse keinen anderen Weg der Aufarbeitung, schreibt der Trierer Generalvikar an seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Als den, den das Bistum geht. Echt jetzt? In meiner Ausbildung zum Pastoralreferent hatte ich ein eindrucksvolles Erlebnis. In einer Runde erzählte ein Kollege recht umständlich von seinem Pfadfinderleiter. Der habe ein Problem mit Alkohol, alle wüssten, er sei zu alt und nun müsse wirklich mal was passieren. Der Gesprächsleiter blickte mich an und fragte: "Ist Ihnen auch so langweilig?" Ich stutzte. "Mir ist total langweilig" fuhr er fort. "Und weil Sie auf die Uhr geschaut haben dachte ich, es geht Ihnen wie mir." Dann wandte er sich zu meinem Kollegen und sagte: "Bei einer Suchtgeschichte hilft nur eins: Sofort Schluss machen."

An diese Geschichte habe ich schon tausend Mal zurück gedacht. Sie ist mir mit das Wertvollste in der gesamten Ausbildung geworden. Und manchmal glaube ich, bei Verwahrlosung ist es genau so. Man muss sofort Schluss machen. Man muss zu der Person mit dem Käsebrot, dem Tierfilm und dem Pfirsischkern hingehen. Zu ihm und all den anderen Nihilisten. Den Teller mit dem Käsebrot in den Müll kippen. Die Glotze ausmachen. Und man muss sagen: Jetzt ist Schluss. Man muss Schluss machen mit den Entschuldigungssalven, Bußgottesdiensten, mit all den Adressen des Bedauerns. Mit all den Unabhängigkeitsversicherungen. All den Beschwörungen, man tue wirklich was man könne, stehe auf der Seite der Opfer. Früher sei es vielleicht schlimm gewesen, aber jetzt, jetzt sei doch vieles besser. Macht einfach Schluss damit. Und wenn ihr fragt: Was heißt das konkret? Dann sage ich: Holt euch Hilfe. Ihr könntet zum Staat gehen und sagen: Helft uns, wir brauchen eine Wahrheitskommission. Zum Beispiel. Wir schaffen das nicht allein.

Das wäre ein disruptives Zeichen, aber klar, darauf steht ihr nicht so. Dann bleiben halt Tierfilme, ein Käsebrot und ein Fleck auf der Fernsehzeitung. Dann zeigt halt weiter mit Finger auf andere und segnet euch selbst. Diese amtliche Kirche, die an nichts mehr glaubt, auf nichts mehr hofft, der nichts mehr wichtig ist als der klerikale Schweigepakt unter kirchenvolksgesunden Käsebrotessern- die hat dann halt fertig. 4,1 Prozent der Katholikinnen und Katholiken haben in der Pandemie in der Kirche Sinnerfahrungen gemacht, hat Benedikt Kranemann erforscht. Vier Komma eins.Tja.

Was wäre also zu tun? Für die, die dem Johannes in die Wüste entgegen geeilt sind? Als erstes die Institution so ernst zu nehmen, wie es eine Institution, die an nichts weiter glaubt, auf nichts weiter hofft und niemanden liebhat es verdient. Daraus folgt zweitens: selbst genau das zu tun, was Johannes sagt und was der verängstigten Welt doch in dieser Zeit so sehr mangelt: Die Dinge selbst in die Hand zu nehmen. Gemeinsam glauben. Vertrauen teilen. Hoffnung verschenken. Angst die Spitze nehmen. Dunkelheit aushalten. Das Schlimme nicht beschönigen. Das Leid beim Namen nennen. Die Ungererchtigkeit verfluchen. Den Schmerz beschreien. Schuld vergeben. Menschen segnen. Tiere umarmen. Mit Trauernden beten. Tote bestatten. Einfach anfangen. Nicht die, die immer so weiter machen dürfen das Niveau bestimmen. Nicht die, die an nichts mehr glauben, auf nichts mehr hoffen, niemanden liebhaben, denen nichts mehr heilig ist dürfen der Maßstab sein. Es ist vorbei.

9 Kommentare:

  1. Wie gut, dass Ihnen in dieser Situation gelingt, aufzuschreiben, was Sie denken. Bei mir sind nur noch Sprachlosigkeit und Lähmung. Danke.

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  2. Nicht Corona ist das Problem; sondern Alkohol, falsche Ernährung und Egoismus.
    Die Kirche sollte verstärkt caritativ ausgerichtet werden. Zudem gegen Abtreibung und für Höhere Werte kämpfen. Zudem ist ein mystisches Christentum nötig. Bitte googeln: Manifest Natura Christiana

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  3. Vielen Dank für Ihren Kommentar zu dem letzten Bild, das dieser SPIEGEL-Artikel gab, und bei dem ich auch schlucken musste, als ich ihn las.

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    1. Ich werde als "Unknown" angegeben. Mein Name: Udo Wolf.

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  4. Der Priester, der im Interview anonym und unverblümt Vorgehen und Haltung der für das Trierer Bistum damals Verantwortlichen beschreibt, mag in seiner Offenheit schockieren. Aber letztlich skizziert er etwas im Zusammenhang mit sex. Missbrauch sehr typisches. Nicht nur in der Katholischen Kirche gilt, dass Dimension und Ausprägung der sex. Ausbeutung von Kindern und Jugendlichen beschwiegen wird und wenn sich Taten doch nicht vertuschen lassen, versucht man sie zu verharmlosen und/oder in den Opfern eine Mitschuld zu finden. Etwa, indem man ihnen Eigenschaften und Verhaltensweisen zuschreibt, die angeblich dazu beigetragen hätten, dass sie sexuell missbraucht worden sind. Dabei beträgt die Opferrate in der Gesamtbevölkerung 13 % und ist über viele Jahrzehnte stabil geblieben. Neuerdings sprechen wir über etwas, das früher zwar genauso präsent war, aber allgemein stärker ignoriert und meistens beschwiegen wurde. Grundsätzlich hat das einen Sinn, denn andernfalls müssten wir nicht nur falsch positive Annahmen über das Sexualverhalten der Menschen, speziell der in unserem nächsten Umfeld, sondern auch über die Diskrepanz zwischen angeblich von uns gelebten Werten und der Realität aushalten lernen. Denn das ist eine der Voraussetzungen für eine Wachsamkeit, die uns Erwachsene in die Lage versetzt, Kinder und Jugendliche vor Sexualstraftaten zu schützen.

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  5. DIE schweiNEPRIESTER MÜSSEN WEG. allen voran Stefan in HH.

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  6. Korr.: Typo: Priesterschweine

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  7. Ein Pfarrer und einer seiner Verwaltungsräte, angesprochen auf die Spiegelrecherche, winkten lachend ab, nein , sowas lese man erst gar nicht, also, wirklich nicht...Das Gespräch war dann beendet. Ein Vorabendgottesdienst zum 3. Adentssonntag, Thema der Predigt: Erwartungen, was erwarten wir? ...Leere Worthülsen bekommen, ca 25 Gemeindemitglieder bei ca 4.000 Katholiken, ohne Totengedenken auch nur mal 15 Gottesdienstbesucher, ...keine Messdiener*innen seit Monaten, Lektor*innen meistens nur anwesend, wenn ein Auftritt ansteht ...nein, so wirklich nicht!

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  8. ...Lektor/innen auch noch völlig unvorbereitet, man merkt beim Vorlesen an den falschen Betonungen deutlich, dass sie überhaupt nicht verstanden haben, was sie da lesen, und daher wohl auch gar nicht daran interessiert sind...

    „Die Dinge selbst in die Hand nehmen.“ Das gefällt mir. Geht aber meist nicht, „weil die Weltkirche... und die Sakramentalität... und das Priestertum in der kath. Kirche ist halt ein besonderes... und überhaupt, Du kannst hier nicht einfach herkommen und machen... der Priester hat immer noch die Verantwortung für die Liturgie, und solange ich sie leite...“ usw. usw.

    St. Barbara in Duisburg hat es nach mühevollem Hickhack mit der Bistumsleitung geschafft, nicht entsorgt zu werden. Neugründungen kath. Gemeinden gar kenne ich nur wenige, in Süddeutschland und Österreich, und leider überlassen wir Evangelisierung eher konservativen Kräften.

    Ich habe schon vor einigen Jahren die Konsequenzen gezogen und darf erleben, wie Kirche 4.0 „funktioniert“. In meiner freikirchlichen Gemeinde (Mülheimer Verband) wird die Sakramentalität des Christseins GELEBT und nicht in Strukturen aus dem Mittelalter nur GELEHRT. Alle Dienste leiten sich aus dem Getauftsein her, sind funktionell und wandlungsfähig. Sie stehen allen entspr. begabten und kompetenten Mitgliedern offen, Männern wie Frauen. In jedem akribisch vorbereiteten Gottesdienst sind an die 20 „Messdiener/innen“ aktiv, inkl. eine unserer fünf Musikbands und dem Technikteam für den Livestream. Alle Gottesdienste und Predigten sind transparent für jeden auf Youtube. Wir feiern etwa so wie bei der Zeitfenster-Gemeinde in Aachen. Wir legen Wert auf jährliche Alphakurse. Unsere Gemeindeentwicklung lassen wir extern coachen (NGE). Wir versuchen Einheit so zu leben, dass unsere Vielfalt (auch der konfessionellen Hintergründe vieler Mitglieder und Freunde) unsere Gemeinde nicht zerlegt – eine Herausforderung für unsere Streitkultur. Wir sind auf dem Weg.

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