Dienstag, 27. März 2018

Roll on John

Screenshot: Peter Otten
Dies ist ein Lied über alle John Lennons dieser Welt, jeden Hans im Unglück, jeden Eisenhans auf dem Grund jedes Sees, jede Johanna auf allen Scheiterhaufen dieser Welt. Über Bob Dylans Roll On John.

Von Peter Otten

Ein Lied, das über fast siebeneinhalb Minuten lediglich aus drei Akkorden besteht - wovon der dritte Akkord lediglich im Refrain auftaucht - kann das etwas taugen? Wenn noch dazu eine Melodie, hingezupft von einer elektrischen Gitarre ständig wiederholt wird? Es kann. Absolut.

Bob Dylan nimmt die Hörerinnen und Hörer mit in die Abteilung Balladen. Und in dieser Ballade hat er sich einem besonderen Sujet gewidmet – dem Totengedenken. Eingerahmt wird der Text in der ersten und vorletzten Strophe von der Beschreibung eines Mordes. Einem nicht näher bezeichneten John wird in den Rücken geschossen- beziehungsweise er gerät in einen Hinterhalt. Kritiker wie der katholische Theologe Knut Wenzel sahen in diesem Text daher vor allem eine Homage an John Lennon und seine Ermordung in New York im Jahr 1980. Dylan skizziert in diesem Lied in schnellen Strichen wesentliche Etappen des Beatles-Sängers: Von den Anfängen des Sängers in den Liverpooler Docks über den Durchbruch der Beatles im Hamburger Star-Club hinaus in die Welt. Dabei schildert er Lennons Leben nicht als Heldensaga. Sondern er schildert es als mühsamen, beschwerlichen Weg, den er folgerichtig vom Ende her beschreibt: „Wieder ein Tag im Leben auf deinem Weg zum Ende der Reise“. Keine großen Konzerte und Posen, sondern „Spielen für die große Masse, spielen für die billigen Plätze“. Das Leben dieses John erscheint wie das Leben eines Abhängigen, eines unfreien Knechtes, eines Sklaven „wie jeder andere Sklave“, der auf einem Schiff gen Süden segelt, bis es am Tag des Todes auf den Strand gezogen wird. „Jetzt ist die Stadt verdunkelt, keine Freude mehr / Sie haben das Herz herausgerissen und tief hineingeschnitten.“

Der gestrandete John wird aufgefordert, sich nicht weiter mit seinem Gepäck zu belasten und sofort aufzubrechen. „Je schneller du gehst, desto schneller bist du wieder hier.“ Denn: „Du warst viel zu lange auf dieser Insel eingesperrt.“ Dylan beschreibt also das Leben als wenig einladend, wenig lebenswert, eher als unbequeme, fast nicht zu tragende Last, als Gefängnis. Als Gegenmotiv einer Verheißung erscheint das Bild mit der Aufforderung, nun nach rechts zu gehen, wohin die Büffel ziehen. Der Platz, wo der Büffel lebt ist im amerikanischen Mythos ja fast so etwas wie das Motiv des gelobten Landes der Freiheit. Aber das ist in der realen Welt, auch in der Welt des Künstlers, unerreichbar: „Sie werden dich in einem Hinterhalt fangen, eh du dich versiehst / Zu spät jetzt, um heimzusegeln“.

Dylan zeichnet hier also das Leben eines Johns, von dem wir vermuten dürfen, dass damit tatsächlich zunächst John Lennon gemeint ist, mit viel Melancholie und trockener Nüchternheit eher als eine Art Auftragsarbeit, die halt anzunehmen ist denn als selbstbestimmtes aufregendes Lebensexperiment eines jungen dynamischen Sneaker-Trägers mit Hipster-Bart. Es gibt viel Abhängigkeit, viel Schmerz und Verwundung; es gibt wenig Selbst-Performance, Party, Freude, Freiheit und Selbstverwirklichung. Das Leben ist ein Hartschalenkoffer ohne Griff – und keine Pralinenschachtel. Eine Mühle. Ein dunkler Wald – und kein Leben unter der permanenten Sonne.

„Ich bitte den Herrn, meine Seele zu bewahren“ heißt es dann in der vorletzten Strophe. „In den Wäldern der Nacht“. Dieses kleine Gebet erscheint wie eine Mini-Reflexion angesichts der melancholischen, ja düsteren Reflexion über Johns Leben wie die Bitte nach einem Rest von Struktur. Lass mich, Gott, nicht verloren gehen angesichts der überwältigenden Düsternis.

Den acht vierzeiligen Strophen folgt immer der gleiche vierzeilige Refrain. Sein Inhalt erscheint zunächst wie ein uneinlösbarer Widerspruch: Wie soll jemand, der sich um undurchdringlichen Wald des Lebens verloren hat, wie soll ein Gescheiteter sein Licht weiter leuchten lassen können? Doch Dylan scheint dieser Widerspruch nichts auszumachen, er ficht ihn nicht an. Zuversichtlich hebt er nach jeder düsteren Strophe dieses kleine Gedicht im Gedicht an: „Lass dein Licht leuchten / Trag es weiter / Du hast so hell gebrannt / Roll on John.“ Der Refrain wirkt fast wie Sprossen auf einer Leiter. Während die Strophen wie die Leiterbalken wirken, an denen ein Mensch sich mühsam hochhangelt, wirken diese rendundanten litaneiartigen Miniaturen wie kleine Ruheplätze. Sie ermöglichen den weiteren Aufstieg, sie geben Halt, sie sind Rast, geben dem Fuß die Kraft, sich wieder abzustoßen und den Weg fortzsetzen – ja wohin? Wenigstens an ein gutes Ende? „Deck ihn zu (Herr), lass ihn schlafen.“ Es ist mehr Wunsch, ein Gebet, aber wenigstens das.

Dies ist ein Lied über alle John Lennons dieser Welt, jeden Hans im Unglück, jeden Eisenhans auf dem Grund jedes Sees, jede Johanna auf allen Scheiterhaufen dieser Welt. Dies ist ein Lied über jede und jeden, der sein Leben nicht als durchgängige Erfolgsgeschichte erleben kann. Ein Trostlied für jeden, der sich im Unglück und Undurchdringlichkeit, in Abhängigkeit und Fremdbestimmung verheddert, der sich ausgeliefert sieht an Mächte, die er nicht überblickt. Dieses Lied ist ein Lied über die, die ihr Leben zerinnen sehen. Die zu schwach sind, um ihres Glückes Schmied zu sein. Die hilflos mit ansehen müssen, wie Pläne, Erwartungen und Träume zerbersten. Die sich in der Melancholie und Düsternis des Alltags verlieren und verloren haben.

„Lass dein Licht leuchten“ ist dann die hoffnungsvolle Zusage eines anderen – eines Gottes? Deine Zusage? Meine Zusage? – dass Gott? Ich? Du? das Licht, die Würde, die Sehnsucht des Unglücklichen nach Glück, Sinn, Erfüllung sieht, wahrnimmt und würdigt – und mitgeht. Es ist der Appell auch an dich und mich, den John, die Johanna auf  seiner/ihrer Lebensleiter nicht aus dem Blick zu verlieren. „Du hast so hell gebrannt. Roll on, John“ – das wäre dann mein, dein Ruf an ihn, an sie: ich sehe dich und deine Würde und dein Licht. Wenigstens ich sehe es.

Dies ist ein Lied über die Würde eines jeden Menschen, die keine Melancholie, keine Düsternis, keine Verzweiflung, keine Sinnlosigkeit zerstören kann. Dies ist ein Lied darüber, dass ein Gott dein Licht, Hans, Johanna sieht. Das du, dass ich dein Licht, Hans, Johanna nicht übersehe. Ich sehe dich auf deiner Lebensleiter. Vielleicht stehe ich sogar hinter dir und teile dein Schicksal, wer weiß. Lass dein Licht leuchten. Ich sehe es. Wenigstens ich. Roll on John.

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