Kolumba, Auswahl Drei, Repro: Peter Otten |
klar, dass es so nicht weitergehen kann. Gedanken zum lästigen Karfreitag.
Von Peter Otten
Die Gemeindereferentin Regina Nagel hat die Geschichte ihrer Kollegin Karin Weißenfels vor dem Synodalen Forum erzählt. „Karin Weißenfels wurde von ihrem dienstvorgesetzten Pfarrer jahrelang sexuell missbraucht. Als sie schwanger wurde, verlangte er die Abtreibung. Danach möge sie bei einem Freund von ihm beichten. Noch schwanger, bat sie diesen Priesterfreund in der Beichte um Hilfe. Dieser sagte zu ihr, sie müsse abtreiben und gab ihr in dieser Beichte die Lossprechung. Bis heute leidet diese Frau unter diesem Missbrauch und natürlich auch sehr unter dieser Abtreibung. Sie ist extrem belastet durch den Umgang der Verantwortlichen mit ihrem Fall. Der Beichtpriester machte Karriere. Sie selbst ist vom Dienst freigestellt, ist vereinsamt und leidet.“ Der Deutschlandfunk hat vor ein paar Wochen diese Geschichte weiter recherchiert. Sie ist auch in dem bestürzenden wie lesenswerten Buch „Erzählen als Widerstand“ aufgeschrieben.
Heute ist der Tag der Ohnmacht.
Ich besuche einmal in der Woche eine Frau, die bis vor kurzem im Agnesviertel gewohnt hat. Früher habe ich Essen mitgenommen und wir haben zusammen Mittag gegessen. Heute lebt sie in einem Heim. Wenn ich durch die Zimmertür komme springt mein Hund auf ihren Schoß und leckt ihr durchs Gesicht, bevor sie ihn mit beiden Armen umschlingt. Die Frau hat während des Krieges und nach dem Krieg in mehreren Kinderheimen gelebt, die von Nonnen geleitet worden waren. Von dort aus ist sie zu einem Ehepaar nach Köln vermittelt worden. Dort habe sie den Haushalt gemacht. Sie sagt, dass sie fünf Jahre lang keinen Lohn bekommen habe, bis sie sich traute zu gehen. Nachts sei der Hausvorstand oft auf den Dachboden gekommen, wo sie habe schlafen müssen und habe sie vergewaltigt. Viele Jahre später, sie wohne längst hier um die Ecke, habe sie sich ein Kind gewünscht. Doch es habe nicht geklappt. Der Arzt habe ihr gesagt: Aber Sie sind doch sterilisiert! Wissen Sie das denn nicht? Nein, sie wusste es nicht. Wahrscheinlich ist das in einem katholischen Kinderheim passiert. Belegen lässt sich das nach all den Jahren nicht mehr. Sie weint, wenn sie das erzählt.
Heute ist der Tag der Ohnmacht.
Bis gestern konnten Menschen im Kölner Maternushaus das nicht veröffentlichte WSW-Gutachten unter strengen Sicherheitsvorkehrungen lesen. Ich habe das gemacht. Zu diesem Gutachten gäbe es viel zu sagen. Ich will nur einen Aspekt erzählen. Alle Beschuldigten hatten Gelegenheit, sich zu den Sachverhalten der Gutachter, die sie betraf zu äußern. Die entsprechenden Schriftsätze finden sich am Ende des Gutachtens. Einer der Beschuldigten, inzwischen Verantwortungsträger in einem anderen deutschen Bistum, hat ein Dokument eingereicht, das viele Seiten umfasst. Punkt für Punkt werden die erhobenen Vorwürfe wortgewandt zurückgewiesen. Am Ende zeichnet der Justiziar des Bistums, für das er nun arbeitet. Als ich das lese denke ich an Menschen wie Karin Weißenfels, die Dame aus dem Agnesviertel und all die anderen, die sich Aufmerksamkeit, Öffentlichkeit und Recht schwer erkämpfen müssen. An die, die keinen Justiziar haben, der für sie arbeitet. An die, die keine Macht haben und keine Kraft zur Selbstermächtigung. An die Ohnmächtigen.
Heute ist ihr Tag. Heute ist der Tag der Ohnmacht.
Die Heilige Woche beginnt mit einem eindrücklichen Bild. Der Evangelist Markus erzählt die Geschichte von Jesus, der in die Stadt reitet. Auf einem Esel. Nicht wie die römischen Kaiser auf einem stolzen Pferd. Nicht in der Airforce One und auch nicht in einem Dienst-BMW mit einem Fisch auf der Heckklappe. Das Bild ist die Overtüre vom Anfang vom Ende. Markus weiß ja schon, dass die Römer den Tempel in Jerusalem zerstört haben. Kein Stein ist auf dem anderen geblieben. Und mit ihm ist die ganze religiöse Betriebsamkeit um den Tempel herum zu Staub zerfallen. 10000 Menschen haben um und mit dem Tempel gearbeitet. Haben den Pilgern passende Opfertiere zur Verfügung gestellt. In Wechselstuben die Tempelsteuer gewechselt. Die nächste Szene nach der Palmsonntagsszene ist bei Markus die, in der Jesus die Händler aus dem Tempel vertreibt. Die Tische umwirft. Der Tempel, eine Räuberhöhle.
Markus schreibt also für Jesusnachfolgerinnen und -nachfolger, die eine Institutionenkrise erleben. Der Tempel ist kaputt. Die Trümmer rauchen. Kein Stein auf dem anderen. Und was jetzt?
An dem Donnerstag, an dem ich im Maternushaus sitze und mich durch das Missbrauchsgutachten blättere ist mir, als schreibe Markus für uns. Aus dem Gutachten steigt der Rauch einer Institution in Trümmern. Wie geht es jetzt weiter?
In diese Szene reitet Jesus auf einem Esel. Nicht in der Airforce One und nicht im Dienst-BMW mit dem XP-Kennzeichen und dem Fisch auf der Heckklappe. Er reitet mitten durch das Maternushaus. Dann mitten durch den Dom. Und dann die Neusser Straße hoch. In die Agneskirche rein. Da kommt einer, denke ich, der hat kapiert, worauf es ankommt. Da kommt einer, der hat sich von den Insignien der Macht getrennt. Der hat nicht nur so getan wie einer, der in einem frommen Tausch mal einem anderen die Füße wäscht. Der hat nicht fromm gepredigt, dass es in der Kirche doch gar nicht um Macht geht. Sondern ums Dienen. Der hat sich wirklich auf einen Esel gesetzt. Alles paradoxe Zeichen dieser Woche: Der Ritt auf einem Esel, der Griff zur Waschschüssel, das Schleppen des Kreuzes – Ikonen der heilsgeschichtlichen Wende.
Gerade haben wir ja wieder die Szene gehört: Wenn du der Sohn Gottes bist, dann hilf dir selbst und steig vom Kreuz herab. Ist das nicht ein nachvollziehbarer Gedanke? Welcher Gott ist so dumm und steigt auf einen Esel und lässt sich an ein Kreuz binden? Warum noch Karfreitag mit Blut, Schweiß und Tränen? Lasst uns doch direkt Ostern feiern. Alles wird gut. Warum immer wieder die nervigen Geschichten von Betroffenen sexueller Gewalt, diskriminierten Frauen, Geschichten von Machtmissbrauch hören? Ostern wird doch eh ein Hochamt gefeiert. Wie jedes Jahr. Großzügig auch für Betroffene und Opfer. Für die Armen und Stummen. Die Traumatisierten und Stillen. Halleluja.
Heute ist aber erst mal der Tag der Ohnmacht. Jesus ist auf einen Esel gestiegen und wieder abgestiegen. Schweigend hat er sich ans Kreuz binden und umbringen lassen. Gottes Allmacht zeigt sich in der Umarmung der Ohnmacht. Nicht in einem paternalistischen Sinn: Habt euch nicht so. Letzter sein ist chic. Beuget die Knie. Nicht im Sinn einer Ohnmachtssimulation. Jesus auf dem Esel, Jesus mit der Waschschüssel und Jesus am Kreuz zeigen eindrücklich und unmissverständlich: Es geht nicht mehr so weiter. Die geschäftige religiöse Betriebsamkeit ist am Ende. Und jetzt?
Jetzt reitet einer auf einem Esel durch unsere Kirchen. Jesus schlägt sich eindeutig auf die Seite derer, die übersehen werden, deren Geschichte niemand interessiert, die gedemütigt und ruhig gestellt werden. Jesus stellt sich auf die Seite von denen, die nicht am Drücker sind. Auf die Seiter der Übersehenen, Betroffenen, Übriggebliebenen. Die nicht die Macht haben, sich Gutachten und Schriftsätze erstellen zu lassen. Die keine Möglichkeit haben, dass jemand ihnen eine Auszeit gewährt, weil sie ja immer im Aus stehen.
Und wir? Wir machen einfach so weiter. Wir haben die schönen Dome und Kirchen, die Radiosender und Zeitungen, das Geld, den Einfluss, die Macht, die Mikrofone. Wir sind am Drücker. Beuget die Knie. Oder?
Die drei Ikonen der Karwoche zeigen, dass das nicht geht: Einfach so weiter. Jesus auf dem Esel. Jesus an der Waschschüssel. Jesus am Kreuz. Das ist keine Ohnmachtssimulation, das ist die Umarmung der Ohnmacht. Wer fromm den Palm schwenkt, den Fuß wäscht und das Kreuz küsst, der sollte wissen, was er da tut. Die Botschaft von Karfreitag: Schluss mit der Macht, die zerstört. Schluss mit angeblich gerechter Diskriminierung. Schluss mit der Verteidigung von kirchlichen Strukturen, die Jesus angeblich genau so gewollt habe, die man daher nicht verändern könne. Was hingegen nicht verändert werden kann sind die drei Ikonen der Ohnmachtsumarmung: Jesus auf dem Esel, Jesus an der Waschschüssel und Jesus am Kreuz. Sie nerven und provozieren jedes Jahr. Können wir nicht direkt Geschenke auspacken?
Nein, das können wir nicht. Denn heute ist der Tag der Ohnmacht. Nicht wir in den Kirchen und Domen, mit Purpur und Gold, mit Geld und Einfluss sind am Drücker. Schluss damit. Heute wird die Ohnmacht ermächtigt. Mit aller Konsequenz.
Was das für die Betroffenen sexualisierter Gewalt bedeuten müsste, wenn die Ohnmacht ermächtigt würde, das hat Christian Linker sehr klug gesagt: „Wenn es stimmt, dass die Kirche der Leib Christi sei, dann kann dieser Leib nicht mit Kardinalspurpur und Prälatenviolett ummäntelt sein. Sondern er trägt die Spuren der Erniedrigung auf seiner Haut. Ecce homo. Seht, der Mensch. Wenn nicht die Betroffenen des sexuellen Missbrauchs „die Kirche“ sind, wer kann denn dann noch Kirche sein?“
Heute wird die Ohnmacht von Gott ermächtigt. Damit beginnt die Erlösung: vom tödlichen „immer weiter so“, „ist halt so“ und „kannst du nichts dran machen“. Kannst du wohl. Dann mag es Ostern werden. Wir werden sehen.
Das ist ein ganz großartiger Text. "Heute wird die Ohnmacht ermächtigt. Mit aller Konsequenz." Das spricht mir aus der Seele. Danke dafür.
AntwortenLöschenVon Herzen meinen tiefen Dank für diese heilsamen, Mut und Trost spendenden, geraden Worte, lieber Bruder ♥
AntwortenLöschenCe Ce
Meine Güte - man stelle sich diesen Text als Predigt in einem Om vor. Großartig, vielen Dank!
AntwortenLöschenToller Text. Wirklich herausragend.
AntwortenLöschenToller Text. Wirklich herausragend.
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