Von Peter Otten
Dies ist ein Lied über die Angst. Angst ist schlimm, besonders, wenn sie alles im Leben eines Menschen bestimmt. Wie ein zäher Nebel, der nicht eine Minute am Tag Sonnenlicht durchlässt. Kein Lächeln, kein hüpfendes Freudenherz, kein Glücksgefühl. Nichts. Es ist ein Lied über die Angst vor der Aussichtslosigkeit ("wenn du alles gibst, doch ohne Erfolg"). Die Angst vor der unstillbaren Sehnsucht ("wenn du das kriegst, was du willst, aber nicht das, was du brauchst"). Die Angst vor einer endlosen Müdigkeit ("wenn du schrecklich müde bist, aber nicht schlafen kannst"). Die Angst vor dem endgültigen Verlust ("wenn du was verlierst, das du nicht ersetzen kannst"). Die Angst vor der Liebe, die nicht trägt ("wenn du jemand liebst, doch es geht daneben"). Es ist ein Lied letztlich über die Angst vor der Vergeblichkeit, vor fehlender Resonanz. Die Angst davor, das eigene Leben findet kein Echo in der Welt: kein Gegenüber, kein liebenderMensch, kein Trost. Nichts.Ich muss an die Weihnachtsgeschichte denken. Da steht ein Engel bei den erschrockenen Hirten und sagt: Habt keine Angst. Weit vorher hat er das schon zu Maria gesagt, als sie bestürzt über ihre Schwangerschaft ist. Und später dem Josef, als er mit seiner Familie nach Ägypten abhauen muss, damit König Herodes sie nicht in die Finger kriegt. Hab keine Angst.
Hey, das ist leicht daher gesagt, denke ich. Was soll das bringen? Wenn Kinder wie bei uns in der Agneskirche Fürbitten sprechen gibt es bei ihnen in diesen Tagen vor allem drei wichtige Themen: Mit großem Abstand auf Platz 1: Corona soll weggehen. 2.: Obdachlose sollen nicht allein sein. Und 3.: Die Tiere im Wald sollen leben dürfen. Kinder bringen auf den Punkt, was ihnen Angst macht.
Als die Kinder im Gottesdienst gesagt haben, was sie bedrückt, wovor sie richtig Schiss haben – da habe ich kapiert, was das bringt. Sie haben nämlich ihre Angst nicht verschwiegen. Sondern davon erzählt. Und dann gehört, dass andere Kinder auch von ihrer Angst erzählen. Und gemerkt: ihre Angst ist ja so ähnlich wie die eigene.
Und alle anderen in der Kirche haben auch zugehört. Deswegen kommen Menschen zusammen uns erzählen. Weil sie dann sehen, hören, spüren: sie sind nicht allein. Deswegen feiern Menschen Gottesdienst. Weil sie dann sehen, hören, spüren: anderen Menschen geht es wie ihnen selbst.
Die Adventszeit sagt also auch: Hab keine Angst davon zu erzählen, was dir Angst macht: Ich habe Angst davor, in der Pandemie einsam zu werden. Ich habe Angst, meinen Job zu verlieren. Ich habe Angst, das Geld reicht nicht. Ich habe Angst, jeder denkt nur an sich. Ich hab Angst, ich bin nicht hübsch genug. Erzähl, was dich richtig runterzieht, vielleicht richtig krank macht. Sprich es aus. Lass es nicht in dir gären. Wenn der Engel in der Weihnachtsgeschichte sagt: Hab keine Angst! Heute ist der Heiland geboren! Dann heißt das: Du brauchst dich nicht von deiner Angst bestimmen lassen. Es ist Land in Sicht. Der Nebel lichtet sich. Ich höre zu. Denn der Heiland, der die Wende bringt - das ist auch die Freundin, der Freund, das sind die Eltern, der Lehrer, das ist eine Expertin, ein Therapeut, ein Arzt. Das sind all die Menschen, die einander versprechen: deine Angst ist uns nicht egal.
Dies ist nämlich auch ein Lied über die Kraft der Hoffnung. Wenn all die Ängste dich fertigmachen - I wil try to fix you. Ich werde versuchen dich wieder ganz zu machen. Aufzurichten. Zu reparieren. Ich will es wenigstens versuchen. Und das ist auch die Botschaft von Weihnachten: Da kommt ein Gotteskind zur Welt. Die auch die Welt der Ängste, der Vorläufigkeit und der Vergeblichkeit ist. Aber das Gotteskind teilt diese Welt mit der Schöpfung: Meine Angst ist auch seine Angst. Sie ist mir nicht egal. I will try to fix you. I will try. To fix you. Weihnachten.
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