Donnerstag, 15. Juni 2017

Loss of Empathy

Loss of Empathy Foto: Sandra Jaeger
Was passiert, wenn nicht Theologen und Theologinnen sondern Designexperten für eine Woche das Sagen in der Kirche haben?  Es wird z.B. über Todsünde gesprochen.
Ein Praxisbericht über die Möglichkeit, Menschen Kirche anzubieten und Kirche neu zu denken.

von Janka Keimer und Norbert Bauer


„Füße nicht auf die Kniebank!“ „Altarraum nicht betreten!“ „Keine eigenen Kerzen anzünden!“ Solche oder ähnliche Verbotsschilder finden sich oft in unseren Kirchenräumen. An Verbotsschildern mangelt es in unseren Gotteshäusern nicht. Auch auf das Äußere muss der Kirchenbesucher achten. Männer dürfen keine Kopfbedeckung und kurze Hosen tragen und Frauen müssen darauf achten, dass die Schultern nicht frei sind. Für jede Regel mag es gute Gründe geben. Grundsätzlich vermitteln die kleinen und großen Hinweisschilder dem Besucher eine eindeutige Botschaft: „Du betrittst fremdes Terrain. Dies hier ist unsere Kirche, nicht Deine. Hausrecht haben wir – nicht Du!“

Die Pfarrgemeinde St. Gereon versucht mit dem Projekt „Art & Amen“ in der Kirche St. Michael eine andere Haltung zu vermitteln. Wir bieten diese Kirche im Belgischen Viertel mitten in Köln an. Wir bieten die Kirche den Menschen an, die Lust daran haben, diesen Kirchenraum zu ihrer Kirche zu machen und selbst ein Angebot zu machen.
Auf hervorragende Weise haben das Professoren und Studierende der Detmolder Schule für Architektur an der Hochschule Ostwestfalen-Lippe im Januar 2017 umgesetzt. Im Rahmen der Passagen, einem Designevent zur Möbelmesse in Köln, wurde die Kirche St. Michael zu einem anderen Ort und hat gerade so ihre Bestimmung neu entfaltet.
Vorausgegangen war eine intensive Kommunikation zwischen Köln und Detmold. Bei drei Ortsterminen erkundeten die Studenten den Raum, fotografierten Details, machten Tonproben. Bei diesen Begehungen entwickelten sich intensive Gespräche über die Möglichkeiten und Grenzen, einen Kirchenraum temporär zu verändern, die auch für uns, die wir diesen Kirchenraum fast täglich nutzen, neue Fragestellungen mit sich brachten.
Nach vier Monaten Planungszeit startete das siebentägige Festival „amkastenrasten“, das durch die Kategorien „Sound, Space, Image“ geprägt war.

An unterschiedlichen Orten wurden Interventionen im Kirchenraum vorgenommen.

Einige Beispiele.

Im Wasser des Taufbeckens spiegelt sich das Antlitz eines Menschen in vier wechselnden Gesichtsausdrücken. Dies wird möglich durch eine aufwendige Projektion von oben in die Mitte des Taufbeckens.

Der große Kirchraum wurde durch die Platzierung von acht großen Holzkuben auf den Kirchenbänken räumlich verändert, so entstand im Mittelgang ein neuer Raum, der Behaglichkeit oder Enge vermittelte.

Vor dem Altar hängt an einem dünnen Faden ein weißes Seidentuch. Unter dem Seidentuch stehen im Kreis sieben kleine Ventilatoren, die in unregelmäßigen Abständen starten und das Seidentuch in Bewegung bringen. Die Künstlerin Kristina Paulsen nennt diese Installation nur „Mary Magdalena“. Als Begleittext liegt Lukas 8,2 mit der Erwähnung, dass aus Maria Magdalena sieben Dämonen ausgetrieben wurden.

An der Seite steht ein großer Holzkasten, von deren Decke zahlreiche kleine Smartphone-Kopfhörer hängen. An jedem Kopfhörer kann der Zuhörer eine Schöpfungsgeschichte hören – nicht nur biblische.Auf der gegenüber liegenden Seite bestimmen Telefonhörer die Installation: “Loss of Empathy“ . Im Beichtstuhl, dort wo sonst der Priester die Sünden der Beichtenden hört, hängen sieben schwarze Telefonhörer, jeder Hörer für eine der sieben Todsünden.

In der Krypta ist eine Gebetsszene aufgebaut. Der Besucher, die Besucherin kann sich auf eine Bank knien und die Hände wie beim Gebet in einen Kupferring legen. Sobald die Hände in die Nähe des Rings kommen erklingt Musik und abstrakte Bilder werden in die Apsis geworfen. Die betenden Hände bewirken unmittelbar etwas.

Nur fünf der zahlreichen Inszenierungen und Installationen, mit denen die Studenten und Studentinnen den Kirchenraum veränderten. Auffallend dabei: Obwohl es von unserer Seite keine inhaltlichen Vorgaben gab, besetzten die Studierenden die Kirche mit den Themen, die genau da ihren Ort haben.

Sie näherten sich dabei kreativ und spielerisch besonders den Themen, die eigentlich ureigene Anliegen kirchlicher Verkündigung sind, aber im pastoralen Alltag eher umgangen werden, wie z.B. die sieben Todsünden.

Für eine Woche wurde die Kirche St. Michael dank der künstlerischen Eingriffe zu einem ungewohnten Ort. Die Kirche war Bestandteil eines großen Events. Auch deswegen kamen tausende Menschen nach St. Michael. Sie begegneten nicht dem, was sie sonst in einer Kirche erwarten. Das gelang auch deswegen, weil „wir mal andere haben machen lassen.“ Dies ist kein Eingeständnis eigener Schwäche oder der eigenen Unfähigkeit, sondern Ausdruck von Schöpfungstheologie: „Die Anerkennung des Anderen, die als Zurücknahme seiner selbst ist alles andere als defensiv; sie ist vielmehr ein gebender, Leben ermöglichender, ja schöpferischer Akt“ (Knut Wenzel). Indem die verfasste Kirche ihre Kirchen auch anderen überlässt, gelingt ihr ein nicht zu unterschätzender Dienst an der Gesellschaft. Sie öffnet Räume der gegenseitigen Anerkennung.

Vielleicht sollten demnächst in unseren Kirchen andere Schilder hängen. Vielleicht einfach ein Schild mit dem Hinweis: „Dies ist Deine Kirche – mach was draus.“


Dieser Artikel erschien zunächst im Pastoralblatt Juni 2017.







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