Donnerstag, 2. Juli 2015

Shelter From The Storm


Screenshot: Peter Otten
Bob Dylan glaubt, dass Liebe einfach passiert.




Von Peter Otten

Es war zu einer anderen Zeit, 
einer von Mühe und Blut,
als Niedertracht eine Tugend war
und die Straße voll von Dreck.
Da kam ich aus der Wildnis, 
eine Kreatur ohne Form.
"Komm herein", sagte sie. 
"Ich gebe dir eine Unterkunft vor dem Sturm." 

Bob Dylan: Shelter From The Storm
 

Auf einmal krächzt sich diese Stimme ins Ohr. Begleitet von einer Pedal-Guitar, die die Töne so schön in den Vordergrund schieben, hochziehen, rausdrücken kann, wie Zahnpasta oder Senf oder besser: wie Ölfarbe aus einer Tube. Es ist ein wackliges Youtube-Filmchen, nicht mal das ganze Lied ist drauf. Die Bühnenlampen sind zu kleinen Sternchen gepackt, wirken wie eine verlorene Lichterkette auf einer Kirmes. Männer in hellbraunen Anzügen. Bob Dylans krächzender Gesang, ein altersmüde gepresstes und doch seltsam zu Herzen gehendes Tremolo. Verwaschenes Englisch. Der Sänger hat auf seiner Never-Ending-Abschiedstournee vor kurzem wieder mal in Deutschland Station gemacht, und in Tübingen hat er eine Version von „Shelter From The Storm“ gespielt, die in ihrer Zartheit und Zerbrechlichkeit fast schon wie eine Meditation daher kam. Im Internet ist noch ein kleiner Schnipsel zu sehen. Und ich kann mir gerade keine Menschen vorstellen – nur totale Ignoranten - denen dieses Stück Musik nicht irgendwie nahe gehen würde.

Es ist die fistelnde und seltsam bescheidende Musik, die einen zunächst in die Geschichte hineinzieht. Sie kommt in dieser Version fast still daher. Und die in einen schlichten Gedanken hineinführt, den Dylan freilich im Verlauf des Textes noch weiter entfaltet. Und der doch immer wieder zu dem entscheidenden Bild zurück kehrt: dass da jemand ist – in Dylans Geschichte eine Frau – die eine Unterkunft, eine Herberge, einen Schutzraum bereitstellt für den, der da aus dem Sturm kommt. Hier ist der Sturm eine Wildnis, eine Zeit, „in der Niedertracht eine Tugend war“. Sie hat aus dem, der da kommt „eine Kreatur ohne Form gemacht“. Offensichtlich muss der, der da kommt nicht viel erklären, es ist offensichtlich. Und sie, die nun ins Bild kommt muss nicht durch viele Fragen erst ergründen; was zu tun ist ist offensichtlich. „Ich gebe dir eine Unterkunft vor dem Sturm“. Es ist eine Geschichte einer Zumutung, in der sich einer - die verzweifelt-verstummte Kreatur - ausliefert. Und in der die andere einfach nur das Richtige tut. Es ist darüber hinaus nicht nur eine Geschichte über Zumutung, sondern auch eine Geschichte über Vertrauen, Empathie und Offenheit. Über den Willen, vielleicht auch nur über den Instinkt, sich nicht mit dem Gegebenen abfinden zu wollen. Es ist eine Geschichte übers Ankommen. Eben über shelter in the storm. Es ist der Anfang einer spröden, sperrigen, berührenden Liebesgeschichte. So jedenfalls ist sie auch zu lesen.

Merkwürdig nun, dass mir heute, wo ich mir wieder mal die Bob-Dylan-Szene in Tübingen angeschaut habe, diese biblische Szene vom Seesturm einfällt. Als ich sie neulich mit Erwachsenen gelesen habe, haben einige gesagt, hier werde die Geschichte einer Glaubensprüfung erzählt. Jesus wolle provozieren, um den Glauben seiner Gefährten, der zuvor durch vielerlei gemeinsames Erleben und viele Zeugnisse über das Anbrechen des Reiches Gottes angereichert worden ist nun auf seine Wirksamkeit zu testen. Wir haben das aber schnell verworfen. Wir glauben doch nicht an einen Gott, der die Menschen prüft. Sondern der die Menschen liebt. Freilich: es gibt Menschen, die unterziehen auch die Liebe einer ständigen Prüfung. Und führen einander in mancherlei Situationen, in denen sich die Liebe des jeweils anderen jeweils neu erweisen soll.

Doch das ist hier wohl genau nicht gemeint. Es ist eine Liebesgeschichte, aber eine der anderen Art. Und Bob Dylan kann die Fährte legen.

In der Geschichte mit dem Seesturm liegt eine große Provokation: es ist Jesus, der auf dem See übersetzen will, woraus sich die lebensgefährliche Situation ja erst ergibt. Und es ist Jesus, der sich im Boot auf ein Kissen legt, wie zu lesen ist und einschläft. Das kann einen zu Recht aufregen. Und die Gefährten regen sich auf. Man will Jesus geradezu schütteln. Und das tun sie: Sie wecken Jesus – und er steht auf und tut das, was man von einem Erlöser erwarten kann: er bereinigt die Situation. Er droht dem Wind, so heißt es, und es trat völlige Stille ein. Völlige Stille. Die vollständige Umkehrung der lebensbedrohlichen Situation.

Die Geschichte erzählt viel darüber, wie das mit dem Glauben geht – und wie das mit der Liebe. „Habt ihr noch keinen Glauben?“ Eine provokante Frage, eine Zumutung. Wie kann es um den Glauben gehen, wenn das Leben auf dem Spiel steht? Was und woran kann, soll, darf ich glauben?

Bob Dylan erzählt in seiner Geschichte, wie er, die „Kreatur ohne Form“ sich fraglos einer Frau zumutet, die dann das Richtige macht. Shelter in the storm. Er erzählt nicht, wie oder warum es geschieht. Es passiert einfach. Niemand weiß, warum. Auch im Verlauf des Liedes wird das nicht ergründet. Es geschieht, und das ist das Entscheidende. Es ist der Beginn einer spröden, sperrigen und doch irgendwie liebenswürdigen Liebesgeschichte. Man ahnt, liest man Dylans Text zu Ende, dass diese Liebesgeschichte nicht einfach ist, sondern geradezu turbulent. Und doch berührt sie den Kern der Liebe: einen Ort zu finden, wo eine wie aus der Zeit gefallene „Kreatur ohne Form“ angenommen, aufgenommen ist – wie sie ist. Hinter Jesu Frage „Habt ihr noch keinen Glauben?“ stände dann die Ermutigung – aber auch tatsächlich die Provokation - darauf zu vertrauen, dass Liebe, nun ja: passiert. Du kannst sie nicht erzwingen oder beweisen. Nicht einfordern und nicht aufdrängen. Du darfst darauf vertrauen, dass sie passiert, tatsächlich auch da, wo es unwahrscheinlich oder gar unmöglich erscheint.

 

„Versteh ich deine Frage, Mann:
Ist es hoffnungslos und verloren?
"Komm herein", sagte sie.
„Ich gebe dir eine Unterkunft vor dem Sturm."



Dieser Text ist aus dem Buch: Franz Meurer und Peter Otten:  Zeit, die Herzen zu öffnen. Geschichten, die von Liebe erzählen. Es erscheint am 25. Oktober 2015 Gütersloher Verlagshaus

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