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Menschen gerecht.
Karfreitagsgedanken 2015
Von Norbert Bauer
„Deinen Tod o Herr verkünden wir und Deine Auferstehung preisen wir – bis Du kommst in Herrlichkeit.“ Jeden Tag ist dieses Geheimnis des Glaubens in den katholischen Kirchen zu hören. Nur einmal im Jahr nicht – dann wird nur der Tod verkündet. Am Karfreitag. Der Karfreitag ist dem Tod vorbehalten. Von Auferstehung ist an diesem Tag (so gut wie) nicht die Rede.
Der Karfreitag ist der Versuch die Radikalität des Todes ernst zu nehmen. Deswegen wird an diesem Tag auch keine Eucharistie gefeiert – sondern nur ein karger Wortgottesdienst ohne Orgel, ohne Blumen, mit leerem Tabernakel. Das Drama des Todes soll sinnlich wahrnehmbar sein. Wie schwer es aber ist, die Radikalität des Todes auch nur einen Tag durchzuhalten ist ebenso erkennbar: die Liturgie schließt nach der Kreuzverehrung mit dem Kommunionempfang – als Zeichen der Erlösung und des Lebens.
Ende letzen Jahres habe ich ein beeindruckendes literarisches Dokument für die gleichzeitige und zugleich gegensätzliche Erfahrung von Tod und Auferstehung gelesen. Steven Uhly erzählt in seinem aktuellen Roman „Königreich der Dämmerung“ von den Erfahrungen der Menschen in Deutschland nach 1945. Eine Szene spielt auf dem Bahnhof Friedland. Die Heimkehrer aus der russischen Gefangenschaft werden dort von ihren Angehörigen erwartet. Auch Maria steht da. Sie wartet auf ihren Vater.
Aber ihr Vater kehrt nicht zurück. Das erfährt sie auf dem Bahnsteig von einem Mann, dem sie nur ganz kurz begegnet:
„’Es tut mit leid für Sie,’ (sagte er zu Maria). Dann wurde er fortgezogen von anderen Menschen, die hinzugekommen waren, ein Vater und eine Mutter, die ihren Sohn wiedergefunden hatten und jetzt nichts anderes mehr wahrnehmen als ihn, den Totgeglaubten, Auferstandenen. Er warf ihr noch einen Blick über die Schulter zu, da war er fort, und Maria stand da mit dem Brief ihres Vaters in der Hand in der Menge, die jetzt über Lautsprecher angeleitet wurde, ein Dankeslied zu singen.“
Gesungen wurde „Nun danket alle Gott mit Herzen, Mund und Händen. Der große Dinge tut...“ Die einen konnten aus „vollem Herzen singen, weil sie genau wussten, wofür sie Gott dankten mit allem was sie hatten.“ Maria aber konnte nicht mitsingen – sie verließ den Bahnsteig, sie konnte es nicht ertragen, den Dank, den die anderen Gott zollten, der „lohnte und betrog, beides mit der selben Hand.“
Der Roman erzählt nichts davon was Maria getan hat, nachdem sie den Bahnhof verlassen hatte. Möglicherweise hat sie Gott angeklagt, möglicherweise hat sie aber auch ihren den Glauben an Gott in dem Moment verloren - wie so viele, die ihre konkreten Lebenserfahrungen nicht mehr mit einem Glauben an einen lieben Gott übereinbringen können.
Nicht wenige Menschen fordern Reformen in der katholischen Kirche. Ihnen wird oft entgegnet, der Ruf nach kirchlichen Reformen sei fehl am Platz, denn in Wirklichkeit handele es sich um eine Gotteskrise und nicht um eine Kirchenkrise. Dabei ist dies gar kein Gegensatz. Natürlich verliert die Kirche bei vielen Zeitgenossen an Plausibilität, wenn einfach die Hälfte der getauften Mitglieder prinzipiell von Leitungsfunktionen ausgeschlossen ist. Sie verliert aber auch an Plausibilität, wenn zu schlicht und zu einseitig von Gott gesprochen wird und eine „Lobhudelei Gottes“ präsent ist „die, weder Gott noch dem Menschen gerecht wird“ (Magnus Striet). Vielleicht besteht die Gotteskrise eben nicht darin, dass zu wenig an ihn, Gott, geglaubt wird, sondern dass zu wenig nach ihm gefragt wird. Die Liturgie an Karfreitag ist dafür ein gutes Beispiel: es wird die dramatische Leidensgeschichte vorgelesen, jeder einzelne kann sich vor dem Kreuz verbeugen und dann endet der Gottesdienst mit dem Schlussgebet doch wieder ganz affirmativ: „Allmächtiger, ewiger Gott, durch den Tod und die Auferstehung deines Sohnes hast du uns das neue Leben geschenkt. Bewahre in uns, was deine Barmherzigkeit gewirkt hat.“ Mit einem Satz wird die Sperrigkeit des Todes glattgebügelt. Trifft dieser liturgische Kurzschluss die Erfahrung der Maria auf dem Bahnsteig, die gerade erfahren hat, dass ihr Vater nicht aus dem Krieg zurückkommen wird, trifft diese behauptete Barmherzigkeit das Erleben der Menschen am Düsseldorfer Flughafen, die vergeblich auf ihre Angehörigen warteten?
Die Lieder, die Gebete, die Predigten in unseren Kirchen verfehlen nicht selten die Lebenswirklichkeiten, die die Bibel in ihrer Pluralität anbietet. Zum Beispiel die biblische Schilderung vom Tod Jesu. Drei unterschiedliche „letzte Worte“ sind in den Evangelien überliefert. Einmal sprechend „Es ist vollbracht“ – einmal laut rufend „Vater, in deine Hände lege ich meinen Geist“ und schreiend: „Mein Gott. Mein Gott. Warum hast Du mich verlassen?“ Drei unterschiedliche Worte, drei unterschiedliche Stimmungen. Nebeneinander. Alle haben ihre Berechtigung. Vor allem die fragenden, die schreienden Worte an und nach Gott sind im Lauf der Frömmigkeitsgeschichte verloren gegangen. Aus der unruhigen Anfrage an Gott wird in der Gebetssprache der Liturgie eine betuliche Fraglosigkeit, verknüpft mit eindringlichen Demutsappellen: „...und gib uns durch den Empfang dieses Sakramentes die Kraft, dir treu zu dienen.“
Jesus stirbt nach der Überlieferung des Matthäus- und des Markusevangeliums mit einer offenen Frage. Im Johannesevangelium verweigert er kurz vor seinem Tod selbst eine Antwort. Jesus lässt Pilatus auf seine Frage „Was ist Wahrheit?“ ohne Antwort zurück. Vielleicht kann dieses Verhalten Jesu Vorbild für kirchliche Lehre und Liturgie sein: Manche Fragen offen zu halten oder schlicht zu sagen: wir wissen es nicht.
Die Fragen
Die Fragen die
meine Mutter quälten
waren dieselben Fragen
jeden Tag
hatte sie etwas getan
auf irgendjemandes
Kosten
um sich selbst
zu retten
wusste
ihre Mutter
dass sie lieber
mit ihr
in die Öfen gegangen wäre
hörte
ihre Schwester
ihr Weinen
war
ihre Nichte
schnell gestorben
eine andere Frage die
sie
quälte
warum
war sie
gerettet
warum
war sie
verschont worden
sie war sich nicht sicher
war sie gerettet
sie war sich nicht sicher
war sie
verschont worden
Dieses Gedicht hat die Schriftstellerin Lily Brett verfasst. Sie wurde 1946 in einem Lager für "displaced people" geboren. Ihre Eltern, polnische Juden, heirateten im Getto von Lodz, überlebten Auschwitz und fanden sich erst nach sechs Monaten Trennung wieder. Alle ihre Angehörigen haben sie im KZ verloren. In einem Gedicht formuliert sie die Fragen ihrer Mutter. Gott kommt in diesem Gedicht nicht vor. Wer Ausschwitz erlebt hat, so zitiert Lily Brett ihre Mutter, weiß, dass Gott nicht existiert.
Vor kurzem bin ich unvermittelt gefragt worden, was für mich Glauben bedeutet. Meine schnelle Antwort war: die Erfahrungen, die ich mache im Zusammenhang mit Gott zu sehen. Vielleicht wäre die ehrlichere Antwort gewesen: Glauben bedeutet für mich, meine offenen Fragen an jemanden richten zu können, den ich Gott nenne. Und glauben bedeutet für mich: zu hoffen, irgendwann eine Antwort von Gott auf diese Fragen zu erhalten, spätestens dann, und – das ist auch ein Geheimnis des Glaubens – „wenn du kommst in Herrlichkeit.“
Angesichts der Germanwings-Katastrophe fragen sich viele Menschen: „Warum?“ Diese Frage und viele andere stellen sich Gottgläubige und Atheisten gleichermaßen. Der Unterschied besteht nicht darin, dass Christen glauben, die Antwort auf diese Frage zu haben. Er besteht vielmehr darin, dass sie die Frage an Gott richten, und das nicht nur an Karfreitag.
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