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Von Peter Otten
Der Kölner Schriftsteller und Orientalist Navid Kermani hat gestern eine eindrucksvolle Antwort auf das Attentat der Terroristen auf die Redaktion der französischen Satirezeitschrift Charlie Hebdo gegeben: „Das ist nicht nur ein Anschlag auf eine Zeitschrift und auch nicht nur auf die Kunst", schrieb er. "Das ist ein Anschlag auf ein Europa, das den Menschen ungeachtet ihres Geschlechts, ihres Glaubens, ihrer Herkunft, ihrer sexuellen Orientierung Würde, Freiheit und gleiche Rechte zuspricht – auch und zumal den Muslimen. Tun wir, was den Tätern am meisten missfällt und den Opfern am meisten entspricht: Bleiben wir frei.“
Am Fest der Erscheinung des Herrn hat der Kölner Kardinal Rainer Woelki in seiner Predigt im Kölner Dom tatsächlich eine ähnliche Antwort formuliert. Und das ist bemerkenswert.
Woelki beginnt mit der Frage nach dem Heil der Welt, dem die Sterndeuter gefolgt seien: "Was aber ist das, das Heil der Welt? Vom Heil zu reden, das war lange Zeit fast nicht mehr mög lich, nachdem die Nationalsozialisten diesen Begriff für sich besetzt und pervertiert hatten. Und tatsächlich hatten die Kirche, die Theologie und auch die deutsche Gesellschaft nach der Katastrophe des Zweiten Weltkrieges und der Shoah vieles aufzuarbeiten." Und mit dem Blick auf die Reichsprogromnacht 1938 fährt er fort: "Warum läuteten nicht die Glocken aller Kirchen dagegen Sturm als die Synagogen brannten? Das wäre doch ein Zeichen gewesen!" Ein deutlicher selbstkritischer Hinweis darauf, wo Christinnen und Christen, wo die Kirche das Heil der Menschen eben nicht im Blick hatte.
Was aber ist das Heil der Menschen? Jedenfalls nichts ausschließlich Jenseitiges, das eben gerade nicht: "Schon die Religionskritik hatte damals und tut es bis heute der Kirche und der Theologie eine Rede vom Heil – zurecht – vorgehalten, in der es einzig und nur um eine Vertröstung aufs Jenseits geht, ohne an den realen Verhältnissen etwas zu ändern, um z.B. Ungerechtigkeiten zwischen Herren und Knechten, aber auch zwischen Arm und Reich auszuräumen", so der Kardinal weiter. Wenn Christen also vom Heil der Menschen sprechen, dann ist eher dies gemeint: "In dem Heil, das Gott verbürgt, ist das Zerbrochene, das Unheile, das Unversöhnliche, das Fragmentarische, das Sinnlose und die Willkür, der Menschen ausgesetzt sind, ernst genommen. Das letzte Wort über das Leben haben nicht die Widerfahrnisse, haben nicht eigene Ohnmacht oder eigene Schuld. Das letzte Wort – und das bedeutet Heil – das letzte Wort über Leben und Sterben hat Gott. Und dieses letzte Wort ist geprägt von Güte" - übersetzt: von einem überschießenden, nicht selbst erworbenen Geschenk Gottes.
Worin aber besteht dieses Geschenk? "Nichts müssen wir vor ihm (Gott) verbergen, nichts verstecken. Heil bedeutet dann auch", so der Kardinal am Ende seines Gedankengangs: "Ich darf, ganz ich selbst sein, mit aller Unvollkommenheit, mit allem, was ich an Bösem getan und an Gutem unterlassen habe." Was aber bedeutet der Gedanke, ganz er oder sie selbst sein zu dürfen anders, als ein freier Mensch zu sein? Das ist eine - zumindest für lange Jahre gepeinigte Kölner (katholische) Ohren - bemerkenswerte Pointe: Gott führt in die Freiheit, und Christinnen und Christen, ja letztlich auch die Kirche ist zu nichts anderem da, als diese Freiheit zu fördern. Ein steiniger Weg, denn mit dem Blick auf die Kirche und ihre Strukturen und sichtlichen Unmöglichkeiten wird freilich klar, dass diese Pointe noch längst nicht Wirklichkeit ist. Im Gegenteil. Doch an diesem Gedanken von Freiheit will und wird sich der Kardinal messen lassen (müssen).
"Wir sind frei - bleiben wir frei," das ist die Antwort auf diese monströse Gewalt dieser Tage, wie sie sich auch gestern wieder in Paris Bahn gebrochen hat. "Wir sind frei - bleiben wir frei" - was wäre das für eine großartige Hoffnungsbotschaft, die die Kirche der Stadtgesellschaft, dem Land, der Welt geben könnte - schlösse sie sich ihr an, mit aller Kraft.
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