Donnerstag, 5. Juni 2014

Wir wählen die Freiheit


Foto: Peter Otten
Die Bischöfe wollen den Gemeinden die Eucharistie wegnehmen, weil sie genau wissen, dass sie ein revolutionäres Zeichen ist. Mit Helmut Schüller im Taxi in Regensburg.

Von Peter Otten

Er ist heiser, deswegen ist er kaum zu verstehen im Zelt von „Wir sind Kirche“ ganz am Rande der Donauinseln, wo alle katholischen Initiativen eine schiedlich-friedliche Nachbarschaft bilden. Vis a vis flattert das Banner von „Nightfever“, eine Traube von Priestern steht im Zelteingang. Wenige Schritte entfernt warten Priester und ihre Frauen auf interessierten Besuch. Katholische Realität. Der Pfarrer und ehemalige Wiener Generalvikar Helmut Schüller spricht über den Papst und dass seiner Ansicht nach eigentlich keine signifikanten Unterschiede zum vorherigen Pontifikat festzustellen seien. „Die Leitmedien schreiben: Es ist alles gut – aber das ist das Gefühl an der Basis nicht“, krächzt er. Der Papst müsse die amerikanischen Ordensfrauen aus der Schusslinie nehmen, sonst seien die USA für die katholische Kirche verloren. Und die Familiensynode müsse ein Erfolg werden. „Sonst ist die Enttäuschung groß.“ Im übrigen gäben die Neuerungen im Päpstlichen Laienrat nicht viel Hoffnung. Eine Frau fragt ihn, was er zur Exkommunikation von Martha Heizer sage, der Vorsitzenden von "Wir sind Kirche" in Österreich. Sie hat mit ihrem Mann bekanntlich eine Eucharistiefeier simuliert, so die vatikanische Schuldfeststellung, weil sie dabei auf einen Priester verzichteten. Schüller nimmt einen Schluck Tee. "Vielleicht braucht es heute prophetische Zeichen wie dieses. Ob es kirchenpolitisch nutzt, darüber kann man natürlich diskutieren. In jedem Fall ist diese Reaktion unangemessen."

Dann muss er weiter, er wird auf einer Pressekonferenz erwartet. Schüller ist Kopf und Sprachrohr der Pfarrerinitiative Österreich, die sich unter anderem gegen die zunehmenden Zusammenlegungen von Pfarreien wendet, aber auch die Berufung aller Getauften zu Mitverantwortung und Mitentscheidung in der Kirche unterstützen möchte. Über 500 Priester und Diakone sind inzwischen dabei. Zum Glück ist in seinem Taxi noch ein Platz frei. Mit vier Leuten quetschen wir uns rein. Am Vorabend ist Schüller aus Wien gekommen. „Ich hatte morgens noch die Erstkommunionfeier in der Pfarrei, und heute Abend fahre ich mit der Bahn zurück, denn morgen ist noch eine.“ Es sei ihm wichtig, die Arbeit in der Pfarrei nicht zu vernachlässigen. Aus dem Ordinariat werde ihm das manchmal vorgeworfen. „Denen sag ich: ich bin öfter da als ihr.“ Der Taxifahrer muss einen Umweg machen. Zu wenige Brücken für den Autoverkehr. „Ihr solltet mal richtige bauen.“ Schüller grinst. „Brücken für Christus, aber auch richtige Brücken. Das wär eine gute Petition.“ Schüller springt aus dem Taxi und zupft an seinem Schal. Dunkle Hose, beiger Wettermantel, perfekter Scheitel. Schüller ist gewiss nicht uneitel. Den Katholikentag bescheinigt er ein „bischofszentriertes Programm“, als er in einem Nebenraum der evangelischen Dreieinigkeitskirche Platz genommen hat. Die Bischöfe seien die Gastgeber, da könne Alois Glück sagen, was er wolle. „Gestreamlinert“ sei das, was wohl stromlinienförmig bedeuten soll. Man habe lediglich die Diskussionsleine verlängert. "Die Kirche in Europa hat Angst vor den großen Fragen. Die Politik sieht die Kirche als einen Dienstleister für ihre Mainstreampolitik." Schüller hat das Programm studiert, natürlich weiß er, dass gerade die Kanzlerin im Anflug ist. Die von der sich von oben nach unten herunterdefinierenden Dienstleitungskirche hingestellten Angestellten verbreiteten ein „Superimage“ ätzt er, während die Initiativen an den Rand gedrängt würden. Was er von der charismenorientierten Pastoral halte, frage ich ihn. In Deutschland bekomme man zunehmend den Eindruck, der Ansatz werde scheitern, weil eine neue Struktur geschaffen werde, ohne die alte Pfarreistruktur preiszugeben. Oder? Die Charismen seien in den Gemeinden da, sagt Schüller. "Ich bezeuge es wirklich, dass wir die Charismen, die wir brauchen in den Gemeinden haben." Und dann dies: "Die Eucharistie wird den Gemeinden weggenommen, weil sie das revolutionärste Zeichen ist, das wir haben. Die Eucharistie ist der heiße Kern." Aber man wolle diese Energie nicht den Gemeinden überlassen. „Die größte und spürbarste Auswirkung des Glaubens ist die Freiheit“, sagt Schüller. „Der Käfig ist ein Sehnsuchtsort von Menschen, die Angst vor Pluralität und vor leeren Kirchen haben.“ Doch das Modell einer „Kirche als Stützkorsett“ sei untauglich, sondern die Bibel erzähle davon, wie Menschen sich trauten sich selbst zu ermächtigen. Das klingt wie: Wir wählen die Freiheit. Und als er das sagt, da ist auch seine Stimme wieder klar.

Dies ist die ausführliche Fassung eines Textes, der in Publik-Forum 11/2014 erscheint, zusammen mit drei weiteren Porträits von Menschen, die auf dem Katholikentag in Regensburg gesprochen haben: Eugen Drewermann, die feministische Theologin Maria Katharina Moser und die ruandische Friedensaktivistin Eugénie Musayidire. 

5 Kommentare:

  1. "Die Eucharistie simulieren": ich finde diese Formulierung unerträglich. "Simuliert" habe ich als Kind, wenn ich "Messe spielte". Knaben, die etwas eigen waren, taten das damals noch. Die Heizers feierten Eucharistie ohne Priester. Punkt!
    Da hat Schüller recht: die Eucharistie ist ein revolutionäres Zeichen. Insbesondere, wenn man sie den Priestern wegnimmt. Aber da wird es selbst Schüller und seinen Kollegen von der österreichischen Priesterinitiative unbehaglich. Dann doch lieber Memoranden schreiben und auf Pressekonferenzen auftreten, mit perfektem Scheitel.

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  2. Auch Benedikt XVI. hat als Kind voller Begeisterung die Messe simuliert.

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  3. Hochmut - nichts als Hochmut! Kommt bekanntlich vor dem Fall...

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  4. Ich verstehe diese Exkommunikation als eine Frohe Botschaft, als einen Aufruf, dass es kein Alleinstellungsmerkmal mehr für Priester ist, Eucharistie zu feiern. Der Heilige Geist weht über allen Getauften, also ist es nur konsequent, wenn bald alle diese Feier durchführen dürfen. Sagt nicht Papst Franziskus selbst: "Wer sind wir, dass wir uns anmaßen dürften, Türen zu schließen, die der Heilige Geist öffnen will?"
    http://sinn-und-seele.blogspot.de/2014/05/die-frohe-botschaft-der-exkommunikation.html

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  5. Zu Frau Heizer: Als Pfadfinder-Kurat habe ich im Zeltlager gelegentlich eine Agape-Feier gehalten, wenn kein Geistlicher greifbar war. Problem: Nachher fragten die Pfadis dann: Warum können wir das nicht immer so machen? Eine Antwort 2014: Macht mehr Druck für verheiratete Geistliche; Franziskus braucht "Dauerbeschuss" von der Basis gegen die Bremser in Kurien und Bichofskonferenzen. (Agapen und Laieneinsatz auf der Ebene überschaubarer Gemeinden müßten hinzukommen.)
    Besonders treffend ist Schüllers Beobachtung, dass Katholikentage zu Bischofsparaden verkommen sind. Und das bei der Qualität des derzeitigen deutschen Episkopats. Auch hier gilt wie im Fall des Pflichtzölibats: Immer wieder lautstark für Bischofswahl durch die Basis (Ortskirche) eintreten. Hier verdient der österreichische Schüller unseren Dank, wie der deutsche Schüller aus Köln/Limburg/Münster.

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