Montag, 30. Dezember 2013

Nackte Brüste in gotischen Bögen

Ein Sinn für Weihnachten offenbart sich bei der vom Empörungskonsens begleiteten Femen-Aktion im Kölner Dom.

von Norbert Bauer

screenshot Norbert Bauer

Am 1. Weihnachtstag springt die Femen-Aktivistin Josephine Witt um 10.05 Uhr auf den Altar des Kölner Doms. Dom-Radio überträgt wie immer den Gottesdienst als live-stream. Der Mann (oder Frau?) hinter der Kamera reißt die Kamera nach oben und filmt statt nackter Brüste gotische Bögen. Der EXPRESS berichtet wenige Minuten später online mit Fotostrecke und Namen über die nackte Frau am Altar. Im Internet verbreitet sich die Aktion schnell und Menschen ohne Internetanschluss werden spätestens durch die heute-Nachrichten um 19.00 Uhr informiert.

Der Kölner Stadtanzeiger schreibt einen Tag später: „Nicht mal ignorieren.“ Hält aber diese Empfehlung selbst nicht ein, sondern berichtet seitdem mehrfach über diese Aktion. Sogar der Theaterkritiker rezensiert diese Inszenierung und hebt das Gebet des Kardinals als die gelungenere Provokation hervor. Nicht nur die lokale Presse räumt Platz für Berichterstattung ein: die taz widmet eine ganze Spalte auf der Seite 2 und Heribert Prantl, Ressortleiter für Innenpolitik, schreibt sogar einen Kommentar in der SZ („Zieh dir etwas an“). Weihbischof Schwaderlapp will eigentlich der Sache keine große Aufmerksamkeit schenken und spricht von einer „indiskutablen Aktion“. Auch umsonst: Seit dem ersten Weihnachtstag habe ich über nichts so sehr diskutiert wie über diese angeblich nicht diskutable Aktion. Kein Familienbesuch, kein Weihnachtsanruf, kein Freundestreffen kam ohne Kommentierung und Diskussion aus. Mein Standpunkt: eine erfolgreiche Aktion. Die fünf Minuten im Kölner Dom brachten Josephine Witt mit ihrer oszillierenden Botschaft zwischen „alle Menschen sind gleich“ und „ich bin Gott“ nicht nur ein SPIEGEL-Interview ein, sondern auch noch ein Gesprächsangebot des Hamburger Erzbischofs. Auch die Verantwortlichen um den Kölner Dom können zufrieden sein. Die zurückhaltende Kommentierung von Kardinal Meisner und dem Domkapitel, die sich offensichtlich dank anonymer Hinweise auf die Aktion einstellen konnten, brachte mehr gute Presse als jede wohlfeile Weihnachtspredigt. Eine Win-Win Situation für alle Beteiligten, würde jeder PR-Stratege rückblickend sagen.



Interessant ist dabei das Zusammenspiel von Medien und Aktion. Während die Kamera des Domradios noch hoffte, das Spektakel der Welt vorenthalten zu können, hatte die Boulevardpresse zumindest eine Vorahnung. Ansonsten ist es kaum zu erklären, dass der EXPRESS seinen Fotografen in den Dom schickte, dieser die Aktivistin schon ablichtete, als sie noch in sich versunken und verhüllt in der ersten Bank saß. Eine merkwürdige Geschichte neben der Geschichte. Der Express, das Blatt, für das Kardinal Meisner gelegentlich schreibt, transportiert die Aktion mit exklusiven Bildern aus dem Dom heraus in die Welt. Dieselbe Zeitung, die immer noch meint, mit nackten Frauen ihre Auflage halten zu können, verhilft Josephine Witts Protestaktion gegen den Sexismus zur öffentlichen Aufmerksamkeit. Das passende Video im Internet dazu wird von der großen Boulevardzeitung präsentiert, die ansonsten auch gerne nackte Frauen zeigt.

Aber noch etwas anderes ist bedenkenswert.

Die Berichterstattung und Diskussionen über die Femenaktion zeigt, wie sehr die Menschen in dieser Gesellschaft weiterhin eine Vorstellung von der Bedeutung des Weihnachtsfestes haben. Kulturpessimistische Kirchenaktivisten haben die ganze Advents-und Weihnachtszeit ihre Energie für die Klage verwendet, dass Weihnachtsmänner und Laternenfeste den Sinn des Weihnachtsfestes entchristlichen und kommerzialisieren. Jetzt kommt eine Frau daher, zieht sich aus und springt auf den Altar. Der Aufschrei und die Empörung sind groß. Sogar Volker Beck, der sich bisher nicht oft auf die Seite des Kölner Kardinals gestellt hat, kritisiert die Aktion. Dieser Empörungskonsens kann ich mir nur damit erklären, dass die Menschen wissen oder zumindest hoffen, dass es Orte und Zeiten in der säkularen Gesellschaft gibt, die geweiht sind. Auch dafür die steht Weihnachten. Das Weihwasserritual nach dem Altarsprung zeigt dies eindrücklich. Natürlich wurde der Altar nicht neu geweiht, wie es in vielen Berichten hieß, auch wurde nicht das bei einer Schändung heiliger Orte vorgesehene Bußritual durchgeführt (can 1211). Man wollte dem „Altar die Würde zurückgeben“ und hat mit Weihwasser und einer neuen Altardecke ein einfaches Zeichen gesetzt, das jeder verstanden hat. Daher kann neben aller berechtigter Aufgeregtheit und Empörung auch eine positive Erkenntnis aus dieser Aktion gewonnen werden: eine säkulare Gesellschaft kennt den Begriff der Heiligkeit. Und keiner hat dies besser gewusst und genutzt als die Femen-Aktivistin Josephine Witt.


Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen