Montag, 27. Mai 2013

Schön weit weg



Foto: W.R.Wagner/pixelio.de
Meisners jüngste familienpolitische Äußerungen und ihre Verteidigung durch den Chefredakteur des Domradios belegen: Eine Kirche von oben ist für Menschen von unten nicht mehr nachvollziehbar.

Von Anne Niessen


Vor einigen Tagen stieß ich auf einen Kommentar des Chefredakteurs des Kölner Domradios zu den jüngsten Äußerungen Meisners in einem Interview mit Stuttgarter Zeitung. Da ging es um die Deutschen als – wie Meisner es formulierte – „sterbendes Volk“ und die Rolle der Frau angesichts des Geburtenrückgangs. Meisners Aussagen, die ich zunächst nur in einer kleinen zusammenfassenden Zeitungsnotiz las, haben mich als berufstätige Mutter heftig geärgert und provoziert, aber warum soll ich mich mit jemandem streiten, der an einer Auseinandersetzung gar nicht interessiert ist, weil er längst den Kontakt zu und das Interesse an den letzten verbissen ausharrenden „andersdenkenden“ Katholikinnen und Katholiken verloren hat? Alarmiert hat mich allerdings die Tatsache, dass dieses Mal nicht nur der Kardinal zweifelhafte Thesen geäußert hat, sondern dass der Chefredakteur des Domradios sich bemüßigt fühlte, ihn deswegen in Schutz zu nehmen.Vor allem beschäftigt mich die Formulierung Brüggenjürgens, der nämlich den Standpunkt Meisners zur Rolle der Frau als "Wahrheit" bezeichnet. Damit habe ich gleich mehrere Schwierigkeiten, verschiedene inhaltliche und auch eine formale.

Die erste inhaltliche Schwierigkeit bezieht sich darauf, dass ich in den Äußerungen des Kardinals und auch in denen des Chefredakteurs etwas vermisse: Ich habe überhaupt nichts gegen Familie, schließlich habe ich selbst zwei Kinder und empfinde die „Lebensform Familie“ als großes Glück und als Herausforderung gleichermaßen. Ich frage mich nur, warum Meisner nicht ebenso Männer auffordert, zu Hause zu bleiben und sich um ihre Kinder zu kümmern? Er spricht doch sogar vom hohen Wert der Familie, zu der im katholischen Weltbild beide Eltern gehören. Männer sind doch als gute Christen sicher genauso geeignet, für ihre Kinder zu sorgen, wie Frauen es sind. Oder wird ihnen das im katholischen Weltbild nicht zugetraut? Als Mann würde mich das stören. Als Frau befremdet es mich und stößt es mich zunehmend ab, einer Kirche anzugehören, die Unterschiede zwischen den Geschlechtern (und auch den sexuellen Orientierungen und den Lebensentwürfen) mit Wertungen und Zuschreibungen versieht, die ich überhaupt nicht mit dem überein bekomme, was ich als Botschaft des Evangeliums zu verstehen meine.

Und natürlich wehre ich mich gegen die Rolle, die Meisner den Frauen auferlegt: eben nicht in den Beruf zu gehen, sondern vielmehr Kinder zu bekommen – viel mehr Kinder zu bekommen: drei bis vier wünscht Meisner sich pro Frau. Gegen eine solche „Bestimmung“ wehre ich mich in der Tat aus vielerlei Gründen. Gerne würde ich nur einige davon anführen, die zu tun haben mit Fragen von Selbstbestimmung, mit – gelegentlich schwierigen – individuellen Lebensumständen und mit der großen Verantwortung, die mit der Entscheidung für Kinder verbunden ist. Vieles wäre zu sagen zur verbesserungswürdigen gesellschaftlichen Unterstützung von Eltern und zur Notwendigkeit verlässlicher Kinderbetreuung – auch durch Einrichtungen in kirchlicher Trägerschaft. Das alles kann hier aus Platzgründen nur erwähnt werden; einen Aspekt möchte ich aber ausführen: Denkt man Meisners Wunsch nämlich weiter, hätte das erstaunliche Konsequenzen: Wenn Frauen ohnehin Kinder bekommen und fortan zu Hause bleiben sollten, könnte man ihnen eigentlich von vorneherein ein bisschen weniger Bildung zukommen lassen, oder? Warum sollte eine Gesellschaft Mädchen den Zugang zur gymnasialen Oberstufe oder gar zum Studium eröffnen, wenn sie ohnehin nicht gesellschaftlich nutzbar machen sollen, was sie dort lernen könnten? Jedenfalls meint Herr Meisner offenbar – und Herr Brüggenjürgen anscheinend auch – dass wir alle problemlos auf den Beitrag von Frauen im Berufsleben verzichten könnten. Gut. Streichen wir mal alle Politikerinnen, Künstlerinnen, Sozialarbeiterinnen, Lehrerinnen, Ingenieurinnen und Managerinnen aus dem Bild. Wer will denn ernsthaft in der Welt leben, die dann übrig bleibt? Ich nicht.

Und dann noch eine weitere inhaltliche Schwierigkeit: Wo entsteht eigentlich Geschlecht? Die philosophische Debatte ist längst darüber hinaus, das biologische Geschlecht mit dem sozialen gleichzusetzen. Zudem sind sich Vertreterinnen und Vertreter von Soziologie, Psychologie und Pädagogik ziemlich einig darin, dass Geschlecht nicht vorliegt, sondern gemacht wird – u. a. auch durch solche Äußerungen wie die von Meisner.

Zuletzt möchte ich nur noch eine formale Schwierigkeit äußern, die sicherlich damit zu tun hat, dass ich mir als Professorin und Humanwissenschaftlerin etwas mehr Sorgfalt im Umgang mit Sprache wünsche – gerade von Journalisten, die beruflich mit dem Wort zu tun haben. Meisner hat einen Standpunkt deutlich gemacht, den ich zwar aus tiefster innerer Überzeugung ablehne, der aber zunächst – Gott sei Dank – nichts weiter ist als eine Position. Der Chefredakteur des Domradios hingegen bezeichnet das, was Meisner sagt, als Wahrheit. Das ist einfach Unsinn. Eine Forderung kann niemals eine Wahrheit sein, weil sie nicht beschreibt, was ist, sondern lediglich eine Aufforderung formuliert. Sie als Wahrheit zu bezeichnen, entsprang vermutlich dem Wunsch des Redakteurs danach, das von Meisner Geäußerte noch einmal zu bekräftigen. Wenn er meint, das tun zu müssen, soll er das tun, aber ich wünschte mir, er würde aus Gründen der Wahrhaftigkeit dabei bleiben, diese erstaunlichen Aussagen als seinen – oder Meisners – Standpunkt kenntlich zu machen.

Was bleibt, ist die Hoffnung, dass Herr Brüggenjürgen auf seinen Artikel viele kritische Zuschriften bekommt, aber ich fürchte, dass die meisten das tun werden, was ich bei meinen – teilweise noch katholischen, hetero- wie homosexuellen – Freundinnen und Freunden beobachte: Sie schütteln fassungslos den Kopf und wenden sich ab, weil sie solche Äußerungen nur noch als rückwärtsgewandte und vollkommen lebensferne Ideologie auffassen können. Inzwischen sind sie zu müde und viele auch zu deprimiert, um sich überhaupt noch zu solchen Unfassbarkeiten zu äußern. Sich darüber kritisch auseinanderzusetzen, wäre in meinen Augen die letzte Hoffnung für die katholische Kirche im 21. Jahrhundert – wenn sie wirklich noch daran interessiert ist, den Menschen in all ihrer Verschiedenartigkeit ein ernsthaftes Angebot sein zu wollen. An diesem Klima ist aber Kirche, pardon: sind einige Vertreter der Kirche ganz offensichtlich nicht interessiert. Nicht Herr Brüggenjürgen und ganz bestimmt nicht Herr Meisner, der sich nämlich in dem Stuttgarter Interview beiläufig auch abwertend über die Bewegung „Kirche von unten“ äußert und dabei den verräterischen Satz fallen lässt: „Es gibt aber nur eine Kirche von oben her.“ Wer derartig den Kontakt zu den Menschen verloren hat, für den liegt es sicher nah, sich auch für die erstaunlichsten Haltungen eine Legitimation „von oben“ zu suchen, die vor allem eines ist: für die von unten nicht mehr nachvollziehbar.
 


Anne Niessen ist Professorin  für Musikpädagogik und lebt in Köln.

2 Kommentare:

  1. Liebe Frau Niessen, Ihr Lieben vom Theosalon, dass der Kölner Kardinal ein - höflich gesagt - konservatives Frauenbild hat, kann uns doch nicht mehr erstaunen. Und dass der Chefredakteur des von ihm bezahlten Radiosenders im Ernstfall Gewehr bei Fuß steht - ist das einen Aufreger wert?
    Viel irritierender fand ich in dem Interview mit der Stuttgarter Zeitung, dass Meisner offensichtlich meint, sein Eucharistischer Kongres sei eine probate Maßnahme zur "Heilung" der Verwundungen, die durch den Missbrauch von Kindern durch Kirchenpersonal entstanden sind. Und dass es zu dieser "Heilung" offensichtlich keine Beteiligung der Überlebenden sexuellen Missbrauches brauche; dass die Kirche diese "Heilung" quasi mit dem Herrn allein ausmache: Wir beten zum Herrn und alles wird gut, und die Opfer mögen bitte nicht stören?
    Ein solches Maß an Ignoranz gegenüber dem Problem des Missbrauchs hätte ich drei Jahre nach der Enthüllungswelle nicht mal bei Meisner erwartet. Nun können Sie mir genauso vorhalten: Das, was Meisner da sagt, liegt doch letztlich auf der Linie der unsäglichen Predigt von Robert Zollitsch
    http://www.dbk.de/presse/details/?presseid=1792&cHash=24c6685127361125b32ba60fadd730b1
    bei der finalen Erledigung des Missbrauchsskandals auf der Paderborner Bischofskonferenz im März 2011, was erwartest Du von den Kirchenhierarchen?
    Nein, ich erwarte von denen nichts, aber es macht mich nachdenklich, dass die Medien - also auch die säkulare Öffentlichkeit - das hinreichend bekannte konservative Frauenbild von Meisner für wesentlich aufregenswerter hält als seine Meinung zur "Heilung" der Missbrauchsfälle. Dass die Kirchenoberen sich hier - wiederum vorsichtig gesagt - als lernresistent erweisen, scheint kaum einem Journalisten der Erwähnung wert. Ich fürchte, das sagt auch etwas darüber aus, wie wenig die gesamte Gesellschaft in den letzten Jahren zum Thema Missbrauch gelernt hat.
    lieben Gruß, christoph f

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  2. Lieber Christoph F,
    Sie haben Recht. Die Missbrauchsfälle und Meisners Einstellung zu diesen Verbrechen sind in der Tat erheblich skandalöser und erschreckender als das hinreichend bekannte katholische Frauenbild. Es ist gut so, dass dieses Thema im Mittelpunkt der Kritik am Gebaren der Amtskirche steht (und das tut es meiner Wahrnehmung nach). Es gibt noch weitere Themen, die m.E. unangemessener sind als die Einstellung der Kirche gegenüber den Frauen: der Umgang mit Menschen, die sich zu ihrer Homosexualität bekennen, oder mit wiederverheirateten Geschiedenen zum Beispiel.
    Beim Lesen des Meisner-Interviews haben mich ebenfalls vor allem die von Ihnen zitierten Sätze erschreckt. Meine Reaktion ausgelöst hat dann aber der Kommentar von Herrn Brüggenjürgen, den ich später las: Warum muss ein Journalist Meisners unsäglichen Standpunkt völlig ohne Not noch einmal bekräftigen? Das hat mich beschäftigt und zu einem Leserbrief veranlasst – den ich später zum Kommentar umgeschrieben habe. Natürlich kann man aufhören, sich über solche Peanuts aufzuregen, aber auch sie sind Teil der Entfremdung zwischen der Amtskirche und denen, die katholisch sein möchten. Als „Betroffene“ bin ich auch in diesem Punkt (noch) nicht so weit, dass ich einfach nur mit den Achseln zucke.
    Ansonsten haben Sie recht: Es gibt – leider – deutlich Schlimmeres!
    Danke für die sinnvolle Ergänzung; mit den besten Grüßen
    Anne Niessen

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