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Auf der Suche nach neuen
Strukturen: In fast allen Bistümern beklagen die Gemeinden den Mangel an
Mitverantwortung und Mitbeteiligung. Neue Wege gehen müssen sie aber auf jeden
Fall.
Das Leben in Kirchdörfern im
Bergischen Land zwischen Wipperfürth und Bergisch Gladbach ist noch immer durch
eine Melange aus Gesang- und Schützenvereinsleben, Nachbarschaftshilfe und
Vereinsfußball geprägt. Der eigene Kirchturm war da stets wie ein Fels in der
Brandung, ein Identitätsmerkmal, erzählen Menschen, die dort wohnen.
Christian Heider hat sich lange im
Pfarrgemeinderat eines solchen Dorfes mit etwa 2000 Einwohnern engagiert. Vor
etwa zwei Jahren wurde die Fusion mit vier anderen Dörfern vorbereitet und der
Priester ging. Damit entfiel auch der Gottesdienst am Sonntag. Stattdessen
gibt’s eine Messe samstags um 17 Uhr. »Ganz ehrlich«, sagt der Mittvierziger,
»da sitze ich mit meinen Kindern im Garten oder spiele Fußball«. Sich sonntags
ins Auto zu setzen und an einer anderen Messe teilzunehmen – damit tut er sich
schwer. »Ich habe doch die Kirche vor der Tür.« Nach wenigen Wochen Abstinenz
vom Gottesdienst hat er aber an sich selbst beobachtet, wie schnell die
Verbundenheit zur Kirche brüchig wurde. »Das geht wahnsinnig schnell,
erschreckend."
In allen Bistümern Deutschlands
vollzieht sich seit Jahren eine ähnliche Entwicklung: Aufgrund von weniger
werdenden ehelosen Priestern präsentiert jedes Bistum ein entsprechendes
Sicherungskonzept. Die Zielrichtung ist jeweils dieselbe: Es werden
»Seelsorgeeinheiten«, »pastorale Räume«, »Pfarreienverbünde«,
»Pfarreiengemeinschaften« oder »Pfarreien neuen Typs« errichtet. Damit die
neuen größeren Einheiten von den weniger werdenden Pfarrern bewältigt werden
können, werden nach und nach die Beratungsgremien (Pfarrgemeinderäte), aber
auch die Entscheidungsbefugnis über die Finanzen (die bei den Kirchenvorständen
oder Stiftsräten liegt) von der Ortsebene auf die neue größere Ebene verlagert. Viel Ärger und Unverständnis lösen
derlei Pläne aus, wenn wie in den Bistümern Hildesheim, Freiburg oder Essen
auch noch Kirchengebäude zur Disposition stehen. In Duisburg-Hamborn sollten in
der Großgemeinde St. Norbert vier Kirchen aufgegeben werden, darunter auch St. Peter und Paul in Duisburg-Marxloh in Sichtweite der neu errichteten
Großmoschee. Nach vielstimmigem Protest – selbst die Muslime hatten warnend
ihre Stimme erhoben – sollen nun zwei der vier Kirchen doch erhalten werden.
Seit 2006 wurden im Bistum Essen nach eigenen Angaben 96 Kirchen aufgegeben,
eine Zahl, die man vor Jahren noch für unmöglich gehalten hätte. Nur 46
Großgemeinden sollen übrig bleiben.
In Augsburg ist geplant, die rund 1000
– zum Teil nur einige hundert Katholikinnen und Katholiken umfassenden –
Gemeinden und Kirchdörfer in rund 200 pastoralen Räumen aufgehen zu lassen.
Auch hier ist das maßgebliche Strukturmerkmal die Zahl der einsatzfähigen
Priester. Der Augsburger Bischof Konrad Zdarsa hatte die Reformpläne in seinem
diesjährigen Fastenhirtenbrief angekündigt und damit heftigen Widerstand
ausgelöst (Publik-Forum 5/2012). Der kommt auch daher, weil die Gemeinden nicht
einbezogen wurden. »Wir hatten das Bistum gebeten, in den entsprechenden
Arbeitsgruppen mitzuarbeiten«, sagt etwa Helmut Mangold, Vorsitzender des Diözesanrates Augsburg, der Vertretung der Pfarrgemeinderäte auf
Bistumsebene. Vergeblich. Nun erbost viele das Verbot von
sonntäglichen Wort-Gottes-Feiern ohne Priester. Dahinter steckt die Sorge des
Augsburger Bischofs, dass durch diese Feiern die Bedeutung der Eucharistiefeier
für den Aufbau der Kirche verdunkelt würde. Daher sollen Katholikinnen und
Katholiken einen zentralen Gottesdienst innerhalb der Pfarreiengemeinschaft
aufsuchen. Dieses »Opfer« sei angesichts der auch sonst üblichen
selbstverständlichen Mobilität durchaus zumutbar, schreibt Bischof Zdarsa. »Ein Gottesdienst wird doch nicht
konsumiert«, entgegnet Helmut Mangold. Außerdem gebe es auf dem Land viele
Mobilitätsverlierer: alte Menschen, Jugendliche und Familien mit Kindern. Und:
»Rund 2000 Menschen sind bei uns in den letzten Jahren ausgebildet worden, eine
Wort-Gottes-Feier zu halten«, sagt der Diözesanratsvorsitzende. Viele von ihnen
fühlten sich nun ins Abseits geschoben. Ebenso sorgt die geplante Einführung
von »Pastoralräten« für Unruhe. In denen hat zukünftig – anders als in den
früheren Pfarrgemeinderäten – der Pfarrer den Vorsitz. Örtliche
Pfarrgemeinderäte wird es dann nicht mehr geben.
Kulturfragen
Kulturfragen
Auffällig ist: Egal, wo man in diesen
Tagen mit Katholikinnen und Katholiken spricht, schon nach wenigen Minuten ist
man bei Kultur- und Stilfragen. »Ständig haben wir den Eindruck: Wir können
über alles diskutieren – aber nicht über das Ziel Zentralisierung und
Zentralpfarrei«, sagt Robert Sauter vom Augsburger Initiativkreis Bistumsreform. Es gebe einen großen Ärger über die ständige
Nichtbeteiligung. »Wir brauchen ergebnisoffene Gespräche. Und die Gemeinden
müssen selber Vorschläge machen können, wie sie weiterarbeiten wollen«, sagt
er.
»Das Leben in einem Dorf und damit das
Leben in einer Kirchengemeinde funktioniert nur durch Identifikation und
Bindung«, weiß auch Helmut Mangold vom Diözesanrat. Aber schon der damalige
Kardinal Joseph Ratzinger hat beim Nachdenken über priesterlose Gottesdienste
einen Grundsatz formuliert, der sich auch in der Begründung des Augsburger
Modells wiederfindet: »Es gilt der Vorrang des Sakraments vor der Psychologie.
Es gilt der Vorrang der Kirche vor der Gruppe.« Das heißt in der Sicht des
Lehramtes: Nicht die Menschen stiften die Gemeinschaft, sondern Christus – die
Blickrichtung muss stets die Gesamtkirche sein.
Christsein dürfe sich nicht in der
Liturgie erschöpfen, warnt dagegen Stefan Orth, Redakteur der katholischen
Zeitschrift Herder-Korrespindenz. »Christsein ist auch auf Vergemeinschaftung über die
Gottesdienstgemeinde hinaus angewiesen und muss sich auch diesseits des Trips
zum nächsten Kirchort bewähren«, meint er. Missionarisch Kirche sein stehe und
falle auch mit einer »unaufdringlichen, aber überzeugenden Präsenz in der Fläche.«
Im Bistum Osnabrück versuchte man die
Strukturreformen eher als einen kulturellen Prozess anzulegen, wie der
ehemalige Diözesanreferent Ulrich Schrartz rückblickend berichtet. Er
koordinierte die Strukturveränderungen seinerzeit im Dekanat Bremen. »Natürlich
gab es auch hier harte Auseinandersetzungen und Diskussionen. Trotzdem sind wir
stilvoll und wertschätzend miteinander umgegangen.« In Bremen habe sich der Stadtpastoralrat seinerzeit zur Mitgestaltung entschlossen. Der Bischof
habe die Zusage gemacht, den Prozess, der durch den Stadtpastoralrat angestoßen
werde, zu übernehmen. »Dadurch wussten die Leute, dass sich der Bischof
grundsätzlich an ihre Beratungen und Entscheidungen bindet.« Die Vorarbeiten
seien auf einem Stadtpastoraltag 2005 vorgestellt und beraten worden. Aus ehemals 16 selbständigen Pfarreien
wurden auch in Bremen fünf pastorale Räume errichtet. »Ein solch gewaltiger
Prozess gelingt nur durch wirkliche Teilhabe der Leute und wenn man
Strukturprozess und geistlichen Prozess zusammen denkt«, sagt Schrartz. Man
habe sich theologisch auseinandergesetzt, Kirchenbilder verglichen und
diskutiert und die Menschen fortgebildet
Suche nach neuen Formen kirchlichen Lebens
Suche nach neuen Formen kirchlichen Lebens
Das versucht man auch im Erzbistum
Freiburg. Ein Ausschuss des Diözesanrates soll die kommenden Entwicklungen begleiten.
Laien sind bei den Beratungen der entsprechenden diözesanen Kommissionen dabei.
Auch in Freiburg wird es größere Seelsorgeeinheiten geben, die von einem
Pfarrer geleitet werden, berichtet Felix Neumann, stellvertretender
Vorsitzender des Diözesanrates. In ihnen gibt es einen Pfarrgemeinderat für
alle und Gemeindeteams vor Ort, bei denen aber noch unklar ist, wie sie sich
zusammensetzen und welche Kompetenzen sie haben werden. Diese Teams sollen die
Pastoral koordinieren. Ein dehnbarer Begriff, findet Neumann: »Die konservative
Auslegung besagt, dass die Teams das Pfarrfest organisieren, die progressive
Variante will sie wie beim Vorbild der französischen Diözese Poitiers wirklich
an der Gemeindeleitung beteiligen.«
Insgesamt hätten die Menschen auch in
Freiburg den Eindruck, es herrsche der Zentralismusgedanke vor. »Die Menschen
sind nach wie vor motiviert, vor Ort etwas zu tun, aber nicht auf der Ebene der
Seelsorgebereiche«, weiß Neumann. Daher schlage der Diözesanrat vor, dass die
Gemeinden eigene, zu ihnen passende Modelle entwickeln und ausprobieren
sollten. »Wir brauchen gerade jetzt den Mut zum Experiment. Aber der wird nicht
gewünscht. In den größeren, zentralisierteren Strukturen wird es schwieriger
werden für Gemeinden, die sich ein eigenständiges Profil zugelegt haben. Das
betrifft etwa die ökumenische Gemeinde im Freiburger Stadtteil Rieselfeld, die
mit zwei viel klassischer strukturierten Gemeinden eine Seelsorgeeinheit
bildet.«
Mut zum Experiment – das wünschen sich
zum Beispiel auch die Katholikinnen und Katholiken der Stadt Köln. Der Katholikenausschuss, die Vertretung der katholischen Laien in der Stadt,
veröffentlichte im Juli letzten Jahres seinen »Kölner Anstoß«: Es gehe »längst
nicht mehr nur um einen Dialogprozess, wir haben auch dringenden
Handlungsbedarf.« Konkret setzt sich der Ausschuss für eine Wortgottesfeier am
Sonntag ein und dafür, dass Laien Beerdigungen gestalten dürfen. Solche
Vorschläge wurden sogar vom Kölner Regionalbischof Manfred Melzer und dem
damaligen Kölner Stadtdechanten unterstützt.
Bei einer Tagung aller leitenden
Pfarrer im Erzbistum Köln warnte selbst der Leiter der Hauptabteilung Seelsorgebereiche, Hermann-Josef Rademacher, vor der Versuchung, immer
größere pastorale Räume zu schaffen. Man wolle und solle sich »behutsamer auf
die Suche nach neuen Formen kirchlichen Lebens im Erzbistum Köln machen«,
erklärte er. Von großer Bedeutung sei, ob es gelinge, auch an den Kirchorten
ein selbstbewusstes Ehrenamt zu etablieren, »das mehr Verantwortung und auch
eine Mitbeteiligung an der Leitung zugestanden bekommt.«
Was, glauben wir, ist unser Auftrag?
Was, glauben wir, ist unser Auftrag?
Die katholischen Bischöfe müssten
dringend auf die Frage antworten, wo ihr jeweiliges Bistum in zwanzig Jahren
stehen soll, sagt Bernhard Spielberg, Akademischer Rat am Lehrstuhl für
Pastoraltheologie der Universität Würzburg. Die meisten könnten nur sagen, wo
sie herkämen. Das sei zu wenig, findet Spielberg. Die Kirche vor Ort sei
unverzichtbar, zeige sich in der kirchlichen Präsenz in der Fläche doch die
Sorge der Kirche für alle Menschen. Allerdings müsse die Kirche vor Ort die
Frage beantworten, wofür sie denn überhaupt stehe. Die Gemeinden müssten für
sich eine pastorale Aufgabenorientierung finden: »Wofür sind wir als Kirche
eigentlich gut? Was ist unser Auftrag? Welchen sinnvollen Beitrag für das Leben
der Menschen am Ort können wir leisten?« Dabei gelte es, die wachsende
Entfremdung der katholischen Kirche von kulturellen, ästhetischen und sozialen
Erfahrungen und Ausdrucksformen der Menschen von heute zu beenden, sagt
Bernhard Spielberg. »Es geht nicht um die Ausbreitung einer bestimmten
Sozialform der Kirche und die Einpassung der Menschen in diese Form. Die
Menschen müssen vielmehr die Chance erhalten, das Evangelium in ihrer
Lebenswelt und aus ihrer Perspektive in den Blick zu nehmen.« Die Gemeinden müssten sich einem
schmerzhaften, aber unausweichlichen Transformationsprozess stellen, um zu
neuen pastoralen Orten zu reifen. Dabei dürfe nicht die dauerhafte
Vergemeinschaftung das (heimliche) Ideal für das kirchliche Leben sein, sondern
die Wertschätzung individueller Erfahrung. »Gemeindebildung wird sekundär«,
sagt Spielberg. Das bedeute den Abschied vom Gemeindeleitbild der Pfarrfamilie.
»Die Bistumsleitungen müssen den Pfarreien vor Ort echte Anreize bieten, neue
Wege zu gehen, und viel Freiheit zum Experiment einräumen.«
(erschienen in: Publik-Forum 8/2012)
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