Dienstag, 9. August 2011

Reden über die Identitätsfalle

Wer sind wir? Die Frage nach Identität ist vielfältig und auch paradox. Eine Zwischenbilanz der Deutschen Islamkonferenz
 
Foto: Peter Otten
Der Kölner Schriftsteller Navid Kermani, Teilnehmer der ersten Phase der Deutschen Islamkonferenz, beschreibt in seinem 2009 erschienenen Essay „Wer ist wir? Deutschland und seine Muslime“ eine Identitätsfalle. In Deutschland, heißt es dort, sei „das Andere“, das man immer brauche, um sich selbst zu definieren „nicht nur, aber vor allem der Islam geworden“. Das Gegenüber ist nicht der Schriftsteller, Fußballfan, das Parteimitglied – sondern stets der Muslim. Identität „ist eine Festlegung dessen, was in der Wirklichkeit vielfältiger, ambivalenter, durchlässiger ist.“ Und nicht nur durch die Religion bestimmt ist.

Gilt die Gefahr, in eine Identitätsfalle hineinzutappen, wie sie Kermani beschreibt, auch für die Deutsche Islamkonferenz? Auch diese Frage war bei einer Tagung in der evangelischen Akademie im Rheinland, die nach fünf Jahren Islamkonferenz ein Zwischenfazit ziehen wollte, im Hintergrund dabei. Es sei eine Gewohnheit geworden, alles, was Muslime täten, stets und zuerst mit dem Glauben in Zusammenhang zu bringen, hieß es unisono. Vielleicht dient die Beschäftigung mit „dem Anderen“ im Kleid einer großen Konferenz unter dem Dach des deutschen Staates tatsächlich vor allem dazu, sich – endlich auch – mit der eigenen Identität auseinanderzusetzen und sie als ambivalent zu verstehen. Cordula Woeste, im Bundesinnenministerium zuständig für die Islamkonferenz, versuchte jedenfalls zunächst, die Islamkonferenz in einen größeren Zusammenhang einzuordnen. Anliegen der großen Koalition sei es 2006 gewesen, insgesamt die Frage nach gesellschaftlicher Teilhabe und Teilhabegerechtigkeit zu beleuchten und sich in diesem Zusammenhang auch mit der Teilhabe der Muslime in Deutschland zu beschäftigen.

Die iranische Theologin, Juristin und Lehrbeauftragte für die Religion des Islam an der Universität Paderborn Hamideh Mohagheghi erzählte, sie sei der Einladung von Thomas de Maiziére zur zweiten Phase der Islamkonferenz ohne Erwartungen, aber mit Offenheit und Neugier gefolgt. Grundsätzlich mache sie dort die Erfahrung, dass Vertrauen entstehen könne, wenn die prinzipielle Offenheit da sei, den Anderen in seinem Selbstverständnis anzunehmen. Daher äußerte sie sich kritisch zum Ausschluss von Mitgliedern des Islamrates von der Islamkonferenz. Anfang 2010 hatte der Bundesinnenminister Mitglieder von Mili Görüs ausgeschlossen, weil die Staatsanwaltschaft gegen sie wegen Steuerhinterziehung ermittelte. Daraufhin hatte der gesamte Islamrat, dessen Mitglied Mili Görüs ist, die Islamkonferenz verlassen. „Gerade problematische Gruppierungen müssen gehört werden“, sagte Mohagheghi. „Gerade sie müssen über die Bedingungen der modernen Gesellschaft informiert werden, sonst besteht die Gefahr der Radikalisierung. Muslime müssen daher in der Prävention mitarbeiten, aber nicht, weil sie Muslime sind, sondern weil sie Mitbürger dieses Landes sind“, sagte sie. Man müsse die muslimische Kompetenz in ihrer Vielfalt erkennen und in die Pflicht nehmen – das sei Anspruch und Aufgabe zugleich. Allerdings sehe sie auch mit Sorge, wie die Muslime selbst ihrer Vielfalt gerecht werden wollten und könnten. „Parallel zur Islamkonferenz läuft ja auch ein spannungsreicher innerislamischer Dialog, der auch durch die Islamkonferenz in Gang gekommen ist.“ Es bleibe aber wie in allen anderen Religionen auch utopisch, den Islam durch eine einzige Organisation zu repräsentieren. Daher betonte Mohagheghi die Bedeutung der Einzelpersonen bei der Konferenz, denn sie schüfen ein Gegengewicht zu den großen Verbänden, die ohnehin weniger als ein Viertel der Muslime in Deutschland verträten.

Auch Bekir Alboga, Beauftragter für interreligiösen Dialog der Türkisch-Islamischen Union der Anstalt für Religion (DITIB) in Köln zog insgesamt eine positive Zwischenbilanz. Dabei ließ er erkennen, dass die breite Besetzung mit verschiedensten Vertretern des Islam eine anspruchsvolle Aufgabe gewesen sei: „Wir haben uns als Muslime auch untereinander kennen gelernt. Die Diskussionen zwischen Necla Keleck, Seyran Ates und uns waren sehr heftig. Es war manchmal eine Atmosphäre, wo man kaum noch miteinander verhandeln konnte.“ Es gehe allerdings nicht ohne Kompromisse. Spätestens hier war man gespannt, was laizistische Muslimvertreter bilanziert hätten, deren Stimme in Bonn leider nicht repräsentiert war.

Bernd Ridwan Bauknecht, Lehrer für Islamkunde an öffentlichen Schulen und ebenfalls als Einzelperson Mitlied in der Islamkonferenz, wies in seinem Vortrag darauf in, dass zur Zeit etwa 800000 muslimische Kinder und Jugendliche zwar ein grundgesetzliche verankertes Recht auf Religionsunterricht hätten, diesen aber nicht erhielten. Auch dies sei daher ein wichtiges Thema der Islamkonferenz. Er begrüßte den Beschluss aus Nordrhein-Westfalen, wo mit einem Beirat, der aus verschiedenen muslimischen Vertretern als Gegenüber der Landesregierung bestehen soll, der Religionsunterricht zukünftig organisiert werden wird. Schon die vielen Schulversuche in den letzten elf Jahren in Deutschland hätten gezeigt, dass Islamunterreicht das effektivste Mittel gegen Radikalisierungen sei. „Die Beiratslösung ist eine vorübergehende Lösung“, sagte dagegen Bekir Alboga zu diesen Überlegenen. „Wir machen dabei mit, um die Atmosphäre nicht zu blockieren. Wir sind weiterhin gesprächsbereit und wollen auch gesprächsbereit bleiben.“ Er ließ erkennen, dass die DITIB weiterhin das Ziel verfolge, als Religionsgemeinschaft anerkannt zu werden. Zwei Schritte habe man dorthin getan: Einerseits habe man regionale Religionsgemeinschaften gegründet und zum zweiten damit begonnen, die Teilnehmenden am Moscheeleben zu registrieren.

Dass Islamismus als Teil der Jugend- und Protestkultur angesehen werden muss, darauf wies Marvan Abou-Taam, Islamwissenschaftler beim LKA Rheinland-Pfalz hin. Dabei sei das Phänomen der Radikalisierung eher soziologisch als theologisch zu betrachten. „Es ist Zufall, ob jemand rechtsradikal wird, Islamist oder Nationalist.“ Entscheidend seien die gruppendynamischen Prozesse, die aus einem Zusammenspiel von Präradikalisierunen, Identitätskonflikten, religiösen und politischen Überzeugungen sowie aus ökonomischen Problemlagen entstünden. Religiöse Gemeinschaften hätten sich in ihrer Geschichte immer in politischen Krisen auf ihre Fundamente besonnen. Insofern sei Fundamentalismus keine Neuvergewisserung auf religiöse Doktrinen, sondern stets die Politisierung der Religion. Abou-Taam bezifferte die Zahl extremistisch eingestellter Muslime in Deutschland auf rund 30000. Gewaltbereit seien davon aber nur rund 700. „Allerdings gelingt es dieser vergleichsweise kleinen Zahl, die Gesellschaft zu polarisieren.“ Sicherheitspolitik gehe nur durch Instrumente der Einbeziehung muslimischer Akteure. Diese erleben sich allerdings in einem Paradoxon: Der Staat verlange vom pluralistischen Islam, dass er mit einer Stimme spreche, um mit ihm aushandeln zu können, dass er pluralistisch sein müsse, sagte ein Teilnehmer.

Die Islamkonferenz befeuert wohl einen wichtigen ambitionierten Lernprozess: Identität - als Deutsche, Europäer, Muslime oder Christen - ist vielfältiger und auch paradoxer, als es auf den ersten Blick scheint. Den Islam als weitere plurale Facette dieser ambivalenten Identität einer Gesellschaft zu verstehen und zuzulassen, bleibt eine spannungsreiche Aufgabe – innerislamisch und innergesellschaftlich.

Erschienen in Publik-Forum 14/2011

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