Sonntag, 6. März 2011

Qualitätsfragen

Ein Journalist berichtete neulich von einer Reise mit Kollegen nach Bolivien und Brasilien. In Brasilien traf die Gruppe, die vor allem aus ChefredakteurInnen deutscher Zeitungen und öffentlich-rechtlicher Sender bestand, abschließend auf Leonardo Boff. Es muss den Schilderungen nach ein beeindruckendes Gespräch gewesen sein. Boff habe über die Theologie der Befreiung, ihre Bedeutung für lateinamerikanische Gemeinden und römische Missverständnisse bezüglich der marxistischen Analyse in der Theologie der Befreiung gesprochen. In Brasilien habe die Theologie der Befreiung immer noch eine wichtige Bedeutung für die überwiegende Zahl der Bischöfe, vor allem aber vieler Gemeinden, aber die aufbrechende Kraft der Kirche lasse nach - auch aufgrund des Alters der Protagonisten.

Und Boff habe im Grunde bestätigt, was auch Albert Biesinger vor ein paar Tagen in der SZ berichtete: Die zunehmende gewaltige Bedeutung der Pfingstkirchen für die ChristInnen. In Peru beispielsweise träten zunehmend Menschen zu Freikirchen über, schreibt Biesinger "weil sie dort eine überschaubare Größe, Ernsthaftigkeit in der Bibelauslegung, eine intensive Kommunikation und emotionale Zugehörigkeit gefunden hätten." In Puno am Titicacasee gebe es in den Wohngebieten viele Versammlungsräume freikirchlicher Gruppierungen: "Ein katholischer Priester hingegen hat eine unüberschaubare Anzahl von Katholiken zu begleiten und fühlt sich zunehmend überfordert."

Es ist also eine Mär ständig zu behaupten, die Strukturdebatte sei ein Phänomen der katholischen Kirche im Westen und habe mit der Situation in Lateinamerika, Asien oder Afrika nichts zu tun. Es mag regionale Unterschiede in der Dramatik der Situationen geben. Aber auch Boff und Biesinger zählen Indizien dafür auf, dass Glaubens- oder Gotteskrise und Strukturdebatte zwei Seiten einer Medallie sind. Roman Siebrock formuliert es so: Es glaubt, "dass die Erneuerung der Kirche von einem neuen Glaubensleben, einer neuen Frömmigkeit, wie es Rahner immer gesagt hatte, und einer erneuerten „Intellektualität des Glaubens“ ausgehen muss und wird." Frömmigkeit allein ist gut, reicht aber nicht, es geht immer auch um Qualität. Auch um die Qualität dessen, das klärt, wie es denn nun gehen soll mit einer Pastoralstrategie.
Albert Biesinger jedenfalls gibt eine knappe Definition des Weges einer Sozialraumorientierung der gemeindlichen Pastoral. Die Gemeinde muss in ihrer Größe und ihren Strukturen überschaubar bleiben, weil die Pastoral so den Sozialraum, also den Ort, wo Menschen leben und zu Hause sind, prägen und gestalten kann. Ernsthaftigkeit in der Bibelauslegung bedeutet, dass Christen Antworten auf ihre persönliche Situation und die der Gruppe in der Schrift finden oder lernen, dies tun zu können. Gott spricht zu ihnen in ihrer persönlichen Lebenssituation. Intensive Kommunikation bedeutet dann - unter anderem - miteinander zu sprechen: Über die Situation im Quartier, in der Gemeinde. Und es deutet an, wie die Schieflage in der Machtfrage gelöst werden muss. Schließlich geht es um emotionale Zugehörigkeit, um eine echte Gemeinschaft. Um so etwas wie Identität einer Gemeinde, einer Pfarrei, bei der Christinnen und Christen spüren, dass sie selbst an ihr partizipieren, ja Teil derselben sind.

1 Kommentar:

  1. Vgl. hierzu auch den Beschluss des BDKJ-DA vom 16. Juni 2007: http://www.bdkj-dv-koeln.de/uploads/media/2007_Wo_zwei_oder_drei_04.pdf

    :-)

    Viele Grüße
    Christian

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