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Sonntag, 5. Januar 2020

Ohne Dom. Ohne Rhein. Ohne Sonnenschein.

Screenshot: Peter Otten

Er war mehr für Beständigkeit. Text beim Preacher Slam zum Thema "Kölner Dom" beim Dreikönigsfest in der Karl-Rahner-Akademie

Von Peter Otten

„M´r losse d´r Dom in Kölle, denn do jehührt hä hin!“ summte der Dom. „Wat soll dä dann woanders? Dat hätt doch keine Sinn!“

Der Dom war in aufgeräumter Stimmung. Es war wohl ein tolles Gefühl, wenn Menschen Lieder über einen dichteten, dachte er und lächelte durch sein Rosettenfenster in den winterlichen Nebel. Man hatte eine gewisse Bedeutung. „Stell dir vüür d´r Kreml stünd um Ebertplatz.“ Wirklich eine absurde Vorstellung. Naja, der Dom war noch nie da gewesen. Nicht am Ebertplatz noch sonstwo. Reisetätigkeiten standen auf seiner Liste nicht sehr weit oben. Es schien ihm zu kompliziert. Allein die Vorstellung! Koffer packen, entscheiden, was man mitnimmt und was nicht, das schien dem ihm viel zu beschwerlich und unbequem.

Er war mehr für Beständigkeit.

Der Dom hatte Fotos von sich gesehen, die ihm gefielen. Eins von ihnen rückte die Apsis in den Mittelpunkt der Perspektive, die der Fotograf gewählt hatte. Die Zwillingstürme wuchsen irgendwie aus dem Korpus heraus, wo, das war gar nicht so leicht festzumachen. Sie wiesen wie zwei steinerne Bekenntnisse von Beständigkeit und Zeitlosigkeit in den blauen Himmel. Der Dom fand, dass er auf dem Bild eine Ähnlichkeit hatte mit einem zufriedenen Tier, das unter Gottes Zelt die Sonne genoss. Kein Mensch war auf dem Foto zu sehen. Nur dieses Tier, eine braunbeige Kuh vielleicht oder ein Büffel, zufrieden, wiederkäuend, die Beine unter dem massigen Körper verborgen.

Der Dom konnte die Erzählungen all der Menschen, die andere Menschen, Besucherinnen und Besucher in das Gebäude geführt hatten nach all den Jahren auswendig mitsprechen: „Sehr verehrte Damen und Herren! Bitte kommen Sie näher! Dom, von lateinisch domus, Haus oder Domkirche werden Kirchen genannt, die sich durch ihre Größe, architektonische und künstlerische Besonderheiten oder eine besondere historische Bedeutung auszeichnen.“

Der Dom freute sich jedes Mal, wenn er diese Sätze hörte. Denn es stimmte: Er hatte für Menschen eine Bedeutung. Sie waren froh, dass er da war. Er dachte an den Ruß der tausenden von Kerzen, die seine Haut gekitzelt und runzelig gemacht hatten. Aber das machte nichts.

„Jode Morje, Dom!“ flüsterte die Oma jeden Tag, auf dem Weg zum Bäcker, als sie mit zittrigen Händen ein Streichholz anstach. Die Oma? Ach was, es waren hunderte gewesen. In Kittelschürzen, grauen Wintermänteln mit Biberkrägen, mit Einkaufstaschen, sorgfältig aufgesteckten Haarknoten, in Schnürschuhen und Pantoffeln, Sandalen und manchmal sogar auf Strümpfen. Und davor waren es die Omas der Omas gewesen. In gestärkten Blusen, mit Kölnisch Wasser besprengt, im Witwenschwarz, mit dem gebügelten Taschentuch die Tränen aufnehmend.

„Schön, datt de do bess!“ flüsterte der Opa, der manchmal den ganzen Tag nichts anderes sagte als diesen Satz, den er am Josefsaltar in die Turmhalle entließ. Der Opa? Es waren hunderte gewesen. Im schwarzen Sonntagsstaat mit Weste und Taschenuhr. Im Blaumann, die schwitzige Schiebermütze in der schwieligen Hand, Kartoffelaackerstaub unter den Nägeln, das Fahrrad an die Fassade gelehnt. Und davor waren es deren Opas gewesen. 

Der Dom lächelte und erinnerte sich daran, wie die Männer Geld gesammelt hatten, um die im Krieg beschädigten Fenster retten zu können. Es war nicht bei allen gelungen. Bei sechs Fenstern aber schon. Eines gefiel ihm besonders gut. Es hieß: „Was ihr dem Geringsten meiner Brüder tut, das habt ihr mir getan.“ Das Fenster hing in der Sakristei. Dem Dom gefiel es deswegen fast am besten, weil es jeden Tag, den der liebe Gott auf Erden werden ließ beständig immer wieder die Geschichte aufs Neue erzählte, warum es Dome wie ihn gab. Geben musste:

Was ihr dem Geringsten meiner Brüder tut, das habt ihr mir getan. Das ist mein himmlisches Jerusalem, dachte der Dom.

Der Dom konnte sich eine Welt nicht vorstellen, in der diese Geschichte verschwinden würde. Selbst wenn: er wollte es nicht. -

„Ich kann d´r Dom nit mieh sinn!“ brummte der Bagger. Es war ein rumpelnder monotoner Bass. „Ich kann d´r Dom nit mieh sinn!“ Das stimmte natürlich nicht. Er sah ihn genau. Er fixierte ihn schon seit einem halben Tag, seitdem ihn ein Tieflader hier abgeladen hatte. Musterte seine Maße, fixierte die Höhe der Türme, die einem Menschen, einem Spaziergänger vielleicht Schwindel bescherten oder wenigstens so etwas wie taumelnden Respekt. Der Bagger empfand anders. Er grübelte über Widerstände des Mauerwerks. Er überschlug die zu erwartende Größe der Trümmerberge. Bald schon würde man den Dom nicht mehr sehen. Nämlich dann, wenn er seine Arbeit getan hatte.

„Ich kann d´r Dom nit mieh sinn.“ Ein alter Trude-Herr-Klassiker. Die Schauspielerin hatte ihn gesungen, nachdem sie von Köln auf die Fidschi-Inseln abgedampft war. Der Bagger dachte sich: Und heute passt er zu mir. Er sang einfach gern bei der Arbeit. Vom Westen her hatte er sich langsam an den Dom herangeschoben. Er hatte ihn schon von Ferne erspäht, als er sich mit seinen Ketten in der Grasnarbe festgekrallt hatte. Der Bagger warf einen prüfenden Blick auf braune tuffsteinverblendete Fassade. Er blieb an der Apsis hängen, seiner oberflächlichen Einschätzung nach wohl eine Apsis mit einer Zwerggalerie und einem wohl nur angedeuteten Apisumgang.

„Aloha he. Ich kann der Dom nit mieh sinn.“

Der Bagger grub seine Gabel in den Apsisumgang und drehte sie um. Steine, die von weitem aussahen wie Trockenhundefutter prasselten zu Boden. Ein schmutziger Regenschauer.

„Ich kann de Dom nit mieh sinn, und wo ich jetz bin, hann die Lükk für dä Dom üvverhaup keine Sinn.“

Der Bagger brummte und pfiff. Mit seinem Arm trieb er die Gabel nach links. Die Apsis, deren Anmut ihn zunächst für einen winzigen Augenblick gefangen genommen hatte erschien ihm wie eine dunkle stumme Fratze, eine untote Fratze ohne Nase, ohne Augen. Wie das Gesicht eines Mädchens, das von jetzt auf gleich verwest.

Dann stürzte sie zu Boden. Die fallenden Reste verschwanden in einem Sack von Staub, der sich schüttelte. Wie schnell das geht, dachte der Bagger.

Und brummte und sang:

„Ich kann de Dom nit mieh sinn, und wo ich jetz bin hann die Lükk für dä Dom üvverhaup keine Sinn. Die hann noch nie jet vum Dom jehoot, doch och esu jeht et dänne all jooht.“

Und dann noch dies:

„Ohne Dom, ohne Rhing,
Ohne Sunnesching un ohne "Oh-Oh-Oh.“


Es war aber auch ein nebliger Tag, dachte der Bagger. Für einen Moment vermisste er das Sonnenlicht.

 
(Geflüstert)

Verehrte Damen und Herren,

liebes Publikum,

jetzt ist mir etwas Dummes passiert. Das hätte nicht passieren dürfen. Ich habe aus Versehen vom Immerather Dom erzählt. Mist. Vor fast genau einem Jahr wurde er abgerissen. Wegen der Braunkohle. Das tut mir sehr leid. Entschuldigen Sie bitte. Da hätte ich besser aufpassen müssen. Wahrscheinlich habe ich die Aufgabenstellung nicht aufmerksam genug gelesen. Ich hätte wissen müssen, was Ihnen der Kölner Dom bedeutet.

2 Kommentare:

  1. Im Immenrather Dom waren sonntags eh nur noch eine Handvoll zur Messe gekommen.
    Ein Abriß aus Kirchensteurmitteln wäre im nächsten Jahzehnt angestanden.

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  2. Ich finde, Bedeutsamkeit ist schwer zu quantifizieren. Die Bedeutung von Kulturgütern oder von Kultur allgemein bemisst sich jedenfalls nicht ausschließlich durch Zahlen, Besucher, aktive Gottesdienstteilnehmer. Das macht die Angelegenheit schwierig.

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