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Samstag, 9. Februar 2019

Dorade mit Zimt


Und ich merke heute wo ich auf Ihrem Sofa sitze Sie sind mein Vorbild so ist das einwandfrei und sie schweigt einen Moment und dann noch einen und sie sagt ganz leise das hat mir noch keiner gesagt und ich sage mag sein dann wurde es aber höchste Zeit.

Preacher Slam / Zeitfenster Gottesdienst / 8. Februar 2019 Peter Otten

     Video: Konrad Neuwirth, Zeitfenster Aachen

Ihr Mann konnte kochen Mensch kochen konnte der eine Wucht war das sie konnte das ja nicht so er konnte das gefüllte Paprika konnte er kochen wie niemand sonst weil er konnte würzen mein Gott würzen konnte der und wer kocht ihr jetzt Dorade im Ofen mit Zitrone und ein paar Fingerspitzen voll Salz und kaum zu glauben ein paar Wolken Zimt ist aber so müssen Sie mal probieren Dorade so zart dass das weiße Fleisch von den Gräten fällt wer kocht ihr das jetzt fragt sie mich und ich weiß keine Antwort.

Sie hat Ferdi vor zehn Jahren geheiratet das ist ja manchmal so hat sie gesagt da wartest du und wartest und wartest und hast die Hoffnung schon aufgegeben denn du hast an all die Kerle gedacht all die Nichtsnutze und du hast gesagt das brauche ich echt nicht mehr und bist da drinnen schon ganz still geworden und auf einmal sitzt er neben ihr wieder mal sie kennt ihn schon lange groß ist er und schwer ist er wie ein verlorenes Kind und trotzdem die Grübchen und der Schnäuzer und das bunte Hemd mit den aufgekrempelten Ärmeln und sie hat sich gefragt warum sie nicht schon längst auf die Idee gekommen ist und als er sich umdreht und als sie sich umdreht mit dem Glas in der Hand da ist auf einmal alles klar und sie braucht gar keine Antwort.


Sie hat geahnt, dass Ferdi krank ist aber sie ist still geblieben

Schschsch!

Hat sie gesagt zu sich selber.

Schschsch! Sei still! Und sie hat die Grübchen gesehen und die Dorade und hat sich gefreut wenn er Zitronen vom Markt geholt hat und den Topf mit Salz aus dem Schrank und dann haben sie an dem Tisch aus dem braunen Holz am Fenster gesessen und sie hat gesehen wie sein Schnäuzer sich bewegte als er kaute und lachte und mit dem Messer den Fisch sorgsam anhob und sie hat gedacht wie schön das Glück ist da und als er zurück in die Küche ging und humpelte sagte sie

Schschsch! Sei still! Jetzt bloß keine Antwort!

Es gibt nichts was sie nicht kennen gelernt hätte Schmerzen an allen Stellen und Wundverbände in allen Größen und Wunden in allen Farben und Pillen in allen Formen und manchmal konnte sie nicht hingucken hat sie aber und rein ins Krankenhaus und wieder raus und wieder rein und dann hat sie die Zitronen gekauft und den Topf mit dem Salz aus dem Schrank geholt und die Dorade angereicht und Ferdi saß da in einer Wolke aus Zimt und mit den Fingerspitzen voll Salz denn er konnte ja würzen wie niemand sonst und sein Schnäuzer bewegte sich als sie wieder am dem braunen Tisch saßen und sie hat ihn angeschaut und zum ersten Mal Angst gespürt und Wut und Traurigkeit und dann wieder Angst weil Ferdis Augen anders waren und sie hat gefragt warum macht der liebe Gott das ich habe niemandem was getan und er auch nicht und ich weiß keine Antwort.

Und ich habe fast nichts gesagt in der ersten Stunde habe die Teetasse umklammert die immer kälter wurde und habe sie noch an den Mund geführt als sie schon längst trocken war einfach um etwas zu machen wenn ich schon keine Antwort gewusst habe und ich habe ihr zugehört und mir einen Teller vorgestellt mit einer Dorade und einem Stück Zitrone drauf und einer leichten Wolke aus Zimt der Teller steht auf dem Tisch und sie links und er rechts mit seinem Schnäuzer und dem Grübchen und dann habe ich zum ersten mal etwas gesagt in guten und in bösen Tagen in Gesundheit und Krankheit das sagen Menschen wenn sie heiraten das habe ich gesagt und sie angeschaut und nun verstehe ich zum ersten Mal im Leben was das heißt wo ich hier auf dem Sofa sitze auf Ihrem Sofa sitze und ich sage lieber Gott ich wünschte das könnte ich auch wenn es soweit wäre ich wünschte ich könnte das auch so treu sein wie Sie aber ich weiß es nicht und ich habe Angst davor das nicht zu können was Sie können und ich merke heute wo ich auf Ihrem Sofa sitze Sie sind mein Vorbild so ist das einwandfrei und sie schweigt einen Moment und dann noch einen und sie sagt ganz leise das hat mir noch keiner gesagt und ich sage mag sein dann wurde es aber höchste Zeit. Und sie weint nur ein bisschen und sie sagt sicher wollen Sie von mir hören dass ich an Gott glaube aber sorry das kann ich nicht ich kann zwar an keiner Kirche vorbei gehen aber an Gott glauben das kann ich nicht tut mir leid denn ich habe ihm nichts getan und Ferdi auch nicht und jetzt bin ich allein und keiner kocht mir was warum hat Gott das gemacht was ist der Sinn und ich weiß keine Antwort.

Auf dem Friedhof ist schon ein Loch gegraben und die Urne verschwindet darin als ich nicke und wir stehen nebeneinander und schauen hinab als schauten wir hinab in das Nichts in ein Nirgendwo wenigstens in die allerfernste Ferne in ein Nichts ohne Antwort und ohne Echo.

Wir baun Kathedralen und Dome und lassen Orgeln brausen und sagen die Kirche ist heilig katholisch und apostolisch denke als ich später am Herd stehe es gibt Pasta mit Knoblauch und Öl und wir sagen Christus ist der Weg die Wahrheit und das Leben und lauter solche Sachen wer glaubt wird leben in Ewigkeit goldene Zeiten quasi und wir verspritzen Weihwasser und so etwas wie Gewissheit und husten das was wir für Antworten halten und was doch nur Bescheidwisserei ist in weihrauchgeschwängerte Luft und springen ins Taxi und denken nur weg von hier.

Aber ich sags dir: Die Prophetinnen des Lebens sind die die an Gott verzweifeln sind die die sagen was soll ich mit dem ich habe ihm nichts getan und Ferdi auch nicht die Prophetinnen des Lebens sind die die an einem braunen Tisch sitzen bleiben in irgendeiner Wohnung in irgendeiner Stadt zwischen Zitronen und Salz und Zimt.

Und ich sage dir du musst dich nur zu ihnen setzen auf ihr Sofa und du musst ihnen nur zuhören

eine Stunde

und noch eine

und vielleicht noch eine halbe. Mehr nicht.

Nur hören.

Schschscht!

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