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Mittwoch, 17. Oktober 2018

Noch einmal: Nihil obstat

Screenshot aus dem Film "Meine Täter, die Priester" (Peter Otten)
Angesichts des Totalverlustes, den die Kirche angerichtet hat, stellt sich die Frage, wie es weiter geht. Mein Gefühl ist: Wir sollten die Angst ablegen, reden, erzählen. Nihil obstat.

Von Peter Otten


Nie gab es so viele Reaktionen auf einen Text wie auf "Nihil obstat". Jemand schrieb, was das Thema Missbrauch nicht geschafft habe, das habe die Causa Wucherpfennig geschafft: so etwas wie Aufruhr zu stiften. Der Fall sei zu personalisieren, beim Thema Missbrauch hätten die meisten Opfer keine Namen und ein richtig prominenter Täter sei auch noch nicht überführt. Da mag etwas dran sein.

Vor zwei Tagen nun aber lief der tief beeindruckende und verstörende Film "Meine Täter, die Priester" von Eva Müller in der ARD. Er zeigte das, worum sich die Kirche nicht oder nicht ausreichend kümmert: Den zahllosen Reden, wonach die Opfer an erster Stelle stünden auch Taten folgen zu lassen. Daher zeigt der Film, wie Matthias Katsch, ehemaliger Schüler am Canisius-Kolleg in Berlin, kurzehand selber nach Chile reist. In der Fundacion Christo Vivre, einem katholischen Hilfswerk für Kinder in Chile vermutet er weitere Opfer. Und er wird Recht behalten. Peter R., einer von zwei Jesuiten, der Matthias Katsch selbst missbrauchte, lockte chilenische Jugendliche nach Deutschland. Indem er ihnen "Stipendien" zahlte, baute er geschickt eine Abhängigkeit auf, nutze sie aus und fügte ihnen Gewalt zu.


Schwer zu sagen, was das Unerträglichste und Bestürzendste an diesem Film ist. In Köln sagt man: "Nix ess esu schlääch, dat et nit für jet joot wöör." Nichts ist so schlecht, dass es nicht für etwas gut wäre. Nach dem Film bin ich mir nicht mehr so sicher. Kaum erträglich die naiven Beschwichtigungsversuche von Schwester Karoline. Ihre Logik geht so: Peter R. hat versucht, durch finanzielle Zuwendungen für Jugendliche, für Frauen und Männer, zur Unterstützung des Studiums ein guter Mensch zu sein. Und weil kein junger Mensch etwas gesagt hat, die Peter R. nach Deutschland geholt hat, gibt es auch keine Opfer (und Peter R. war der gute Mensch, der er sein sollte). Sondern nur das gute vielfach ausgezeichnete Werk. Auf den Hinweis von Eva Müller, sie habe die Vorwürfe gegen R. doch aus der Presse erfahren und ihn dennoch 2010 bei sich beherbergt entgegnet die Nonne: "Dass der Peter sich umarmen ließ und küssen ließ und selber auch gern küsste, das ist dann etwas ungewöhnlich. Und ich kann nichts sagen. Ich habe nichts gesehen, ich wusste nichts." Schlimmste Institutionslogik: Ist das nicht die Mitverantwortung derjenigen Mädchen, die nichts sagen? "Natürlich ist da die Verantwortung in der Familie. Wie sollen Außenstehende was wissen?" fragt die Nonne. Sie, die fünf Millionen Euro Spenden in ihr kirchliches Hilfswerk eingeworben hat begreift sich selbst als institutionell Außenstehende, Nicht-Beteiligte. "Und außerdem wenn man noch das Studium bezahlt bekommt. Und es geht weiter und man nimmt das an. Vielleicht hatten sie ja auch Angst. Denn das Geld hat Peter (R.) ja über uns überwiesen. Sie bekamen im Grunde hier im Büro das Geld. Und das ist dann wahrscheinlich doppelt schwierig, dass man den, der das Geld schickt, dass man den anklagt." 

Unerträglich. Woran erinnert das? Genau. Unbegreiflich, dass Schwester Karoline das nicht merkt.

Und weiter: "Sobald ich mit den beiden (Opfern) reden kann, werde ich mit denen reden. Ich werde ihnen keinen Vorwurf machen. Ich werde nur sagen, es tut mir so schrecklich leid, dass sie damals nicht das Vertrauen hatten irgendetwas zu sagen, denn das hätte mir sehr, sehr viel geholfen. Vielleicht hätte ich auch damit dem Peter (R.) helfen können. Wirklich. Also das denke ich."

Kaum auszuhalten, diese Passage im Film.

Die Quintessenz des Gedankengangs, den Schwester Karoline hier auf den Punkt bringt ist ja: Das, worauf viele Menschen gebaut und vertraut haben - nämlich dass das Reich Gottes wirklich beginnt, dass die Hoffnung gewinnt, dass das Gute siegt und dass du das in deinem Leben spüren kannst, dass der Glaube in die Freiheit führt - das liegt ja da wie ein ausgeweidetes Stück Vieh. Selbst das Gute ist nicht mehr gut. Selbst das Gute ist böse. Es ist deswegen böse, weil es zur rücksichtslosen Ideologie wurde. Das Gute prostituiert sich. Kann man so - ohne Rücksicht auf Verluste - das Gute wollen? 

Unerträglich auch der Schluss des Films, als der bewundernswerte Matthias Katsch die Arbeit, die die Kirche nicht tut getan und weitere Opfer getroffen hat. Es sei trotz intensiver Recherche auch mit Hilfe der vatikanischen Botschaft in Chile nicht gelungen Kontakt zu den Opfern in Chile herzustellen. Da muss erst ein Überlebender kommen und das Gleichnis vom barmherzigen Samariter ernst nehmen. Ich habe gedacht: Müsste nicht einer wie Matthias Katsch unser Bischof sein? Einer der das tut, worauf es jetzt ankommt und was außer ihm keiner tut?

Kann man ohne Rücksicht auf Verluste das Gute wollen? Kann man das Gute wollen, das sich prostituiert? Ist das nicht totalitär? Der weltweite Verbrechenskomplex des exuellen Missbrauch in der Kirche - stellt er nicht die Sinnfrage all dessen, worauf wir hoffen, wofür wir arbeiten? Zeigt Schwester Karoline nicht: Der Tempel liegt in Trümmern?

Und wenn das so ist: Was machen wir daraus? Nach meinem Text "Nihil obstat" haben mir Menschen, die in der Kirche arbeiten von Fällen erzählt, geschrieben, wo Priester - immer noch - übergriffig sind und wo Menschen, die ihre Opfer werden nichts sagen aus Angst, sie könnten ihre Arbeit verlieren. Öffentliche Veranstaltungen zum Thema werden blockiert. Junge Christinnen und Christen, die beispielsweise das Gender-Thema in ihrem Glauben bewegt und dem Ausdruck geben wollen haben Angst vor Konsequenzen in der Kirche. Die Übergriffigkeit des Systems hört nicht auf.

Nihil obstat. Nichts steht der Solidarität entgegen. Und wenn nichts der Solidarität entgegen steht steht doch auch nichts dem entgegen: dass du, Mitarbeiterin und Mitarbeiter der Kirche, Seelsorgerin und Seelsorger, Lehrerin und Lehrer, Christin und Christ endlich die Angst ablegst. Sag doch, wo du Übergriffigkeit, Machtmissbrauch, Klerikalismus und Verletzungen aller Art erlebst oder erlebst hast. Wie das in die Resignation treibt, wie das krank macht.

Vielleicht können wir gemeinsam einen #hashtag finden. Vielleicht brauchen wir eine gemeinsame Internetseite. Mal sehen. Wenn du eine Idee hast, dann schreibe (etwas in die Kommentare oder über das Formular rechts) eine mail. Mein Gefühl ist: Jetzt sollten wir reden. Erzählen. Und wir können das auch. Kann das Schweigen so weitergehen angesichts des Totalverlustes, den die Kirche in weiten Teilen angerichtet hat? Weil sie das Gute zum Schlechten gemacht haben?

Als damals die letzte Einstellung von "Richter Gottes" gedreht war, habe ich eine unendliche Erleichterung gespürt. Nicht die anderen hatten entschieden, ob sie zuhörten oder nicht, sondern ich selbst hatte das entschieden. Sie mussten jetzt zuhören. Wahrscheinlich hätte ich ohne das nicht weiter in der Kirche arbeiten können. Lass doch andere keine Gewalt über dich haben. Mach doch Schluss damit. Nihil obstat.

1 Kommentar:

  1. Ich habe in letzter Zeit immer stärker das Gefühl in einer Oase der Aufgeklärten innerhalb einer archaischen Sekte zu leben. Die systematische Vertuschung der Misbrauchsfälle, die Diskriminierung von Schwulen, die Ausgrenzung von Frauen, die Kündigung von Wiederverheirateten - dies hat so gar nichts mit meinem Selbstverständnis als Christ zu tun. Von daher: Danke für die Texte hier und den Aufruf zur Solidarität. Ich bin dabei, befürchte aber, dass das mal wieder komplett ins Leere laufen wird.

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