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Samstag, 16. Juni 2018

Wenn der Pastor zweimal klingelt

Erik Flügge hat nach seinem Bestseller „Die Kirche verreckt an ihrer Sprache“ ein zweites Buch vorgelegt. Zusammen mit dem Kommunikationsberater David Holte plädiert er für „Eine Kirche für Viele“. Es könnte aber sein, dass am Ende sich nur noch wenige für die Kirche interessieren.
 

Von Norbert Bauer
 

Jedes Jahr erscheint ein „Schwarzbuch“ mit dem der Bund der Steuerzahler auf die Verschwendung öffentlicher Gelder aufmerksam macht. Mit „Eine Kirche für Viele“ hat Erik Flügge nun sein Schwarzbuch vorgelegt. Während sich der Bund der Steuerzahler über vermeintliche Luxus-Mülltonnen beklagt, regt sich Flügge über Gemeindehäuser und Pfarrämter auf: „Klar, auch ich könnte in ein muffiges Gemeindehaus gehen, um am Seniorennachmittag teilzunehmen – nur will ich das nicht.“ (9) Für ihn sind diese Räume pure Kirchensteuerverschwendung. Nun sind Steuern keine Zahlungen, die mit der kalkulierten Hoffnung auf möglichst maximale persönliche Gegenleistung gezahlt werden. Mit Steuern finanziere ich vor allem ein Gemeinwohl, auch mit meinen Kirchensteuern. Während ich diese Rezension schreibe, probt nebenan im Pfarrsaal ein Chor persischer Frauen. Sie bezahlen keine hohe Miete und sind noch nicht mal katholisch. Trotzdem halte ich meine Kirchensteuern dort für bestens investiert.


Dennoch ist der Frage nach der Verteilung der Kirchensteuer berechtigt. Auch ich als Kirchensteuerzahler will wissen, was mit meinem Geld passiert. Flügge beeindruckt mit der Zahl, dass 10% der aktiven Gemeindemitglieder über 90% der zur Verfügung stehenden Kirchensteuereinnahmen verfügen können. Zumindest im Erzbistum Köln, wo auch Flügge seine Kirchensteuern bezahlt, ist das nicht so. Hier fließen 43 % der Einnahmen in die Kirchengemeinden. Die weiteren Mittel werden vor allem für Bildung, Kultur und Caritas ausgegeben.
 

Aber auch diese Zahlen würde Flügge nicht passen, denn ihm geht es nicht um Prozentzahlen, sondern um ein grundsätzliches Problem: „Es (das Geld) steckt überall, nur nicht im Glauben vieler Mitglieder.“ (21) Ich frage mich zwar, wie Geld in Glauben stecken kann, was Flügge aber sagen will, ist klar. Nicht Gebäudesanierung ist angesagt, sondern Glaubenskommunikation. Dafür entwickelt er auch ein Programm: Haustürmission. Die Kirchengemeinden sollen losziehen und das Gespräch mit ihren Mitgliedern suchen. Mit einer Modellrechnung kalkuliert er, dass, wenn die Gelder statt in Pastoralbüros in Personal investiert würden, jedes Gemeindemitglied im Jahr acht mal besucht werden könnte. Ich weiß nicht wie attraktiv diese Idee für die Gemeindemitglieder tatsächlich ist. Für einige meiner Freunde wäre es aber gewiss endgültig der Anlass zum Kirchenaustritt, wenn alle sechs Wochen der Pastor vor der Tür stehen würde. Trotzdem ist das Anliegen, das Flügge mit dieser Idee verfolgt, gut. Er will, dass die Kirche mit ihren Mitgliedern über Gott redet. Zwar kommt Flügge auch hier nicht ohne einen Abwertungsjargon aus, wenn er wie die Glaubenskongregation überall Glaubensdefizite diagnostiziert: „Die Getauften sind noch Mitglieder, aber längst keine Gläubigen mehr“. Wer mit so einer Haltung beim Nachbarn klingelt, hat sowieso keine Chance. Das weiß auch Flügge und deswegen erinnert er an die Anfänge der Kirche. Die Glaubenserfahrung der ersten Christen wurde erst durch den Dialog mit der griechischen Philosophie zu einer Theorie von Glauben, zur Theologie. Mit diesem Konzept will Flügge auch die Kirche in Westeuropa reanimieren: „Wir brauchen den Missionsbegriff der frühen Christenheit, bei dem man loszog, um vom eigenen Glauben zu erzählen und bereit war, aus der Antwort des Gegenübers Neues über den eigenen Gott zu erfahren.“ (55) Kirche kann sich nur erneuern, wenn sie wieder lernt über Gott und Glauben zu reden. Und dieses Gespräch darf keine Einbahnstraße sein. Es kann nur gelingen, wenn jeder als Subjekt des Glaubens respektiert wird.
 

Ich weiß nicht so recht, ob die Türschwelle oder das Wohnzimmer der beste Ort für dieses Gespräch ist. Ich bin aber davon überzeugt, dass die dann angesprochenen selbstbewussten Katholiken nicht nur über Gott reden werden. Sie werden gewiss auch die Kirche und ihre Regeln zur Sprache bringen. Die spielen für Flügge aber keine Rolle. Für ihn ist z.B. die Frage, was Männer und Frauen in der Kirche dürfen, eine zu vernachlässigende Kulturfrage, mit der Liberale und Konservative nur ihre Zielgruppen befriedigen wollen, also eine Frage von „Marketing“ (47). Flügge wiederholt hier den schon oft gemachten Versuch, die Gottesfrage von der Kirchenfrage zu trennen. Dabei ist sie nicht zu trennen. Wenn die Kirche konsequent Frauen von den Weiheämtern ausschließt, verkündet sie zugleich auch einen Gott, der die schon im Schöpfungsbericht bezeugte Gleichheit von Mann und Frau ignoriert.
 

Ein zweites Ergebnis der Haustürmission würde Flügge überraschen. Für ihn sind Kirchen „Arbeitgeber und Sozialpartner, sie sind Berater und auch Dienstleister, aber eben keine Glaubensgemeinschaft mehr. Übrig ist nur noch ein heiliger Rest.“ (51) Viele Katholiken würden die Unterscheidung von Dienstleistung und Glaubensgemeinschaft gar nicht treffen. Ganz im Gegenteil, sie bezahlen ihre Kirchensteuern, weil für sie Kirche zugleich Glaubensgemeinschaft und Dienstleister ist. Sie sind nur oft von der Qualität der Dienstleistungen enttäuscht. Das größte Ansehen hat die Kirche aber vor allem da, wo sie als professionelle Dienstleister wirkt, bei Caritas und Bildung.
 

Erik Flügge plädiert mit seinem Buch für eine „Kirche für Viele“. Meine Sorge ist, dass die Umsetzung seines Programms genau das Gegenteil bewirken wird. Es werden noch mehr Menschen die Kirche verlassen, wenn diese sich nur noch als Glaubensgemeinschaft definiert und den daraus folgenden Anspruch als Dienstleister für die Gesellschaft und für ihre Mitglieder aufgibt. Genau aus diesem Grund sind viele weiterhin in der Kirche. Bei allen kirchlichen Krisenszenarien ist es ja überraschend, warum nicht noch viel mehr Leute aus der Kirche austreten, obwohl die übergroße Mehrheit ihre Angebote nicht mehr wahrnimmt. Jeder FC-Fan würde seine Jahreskarte zurückgeben, wenn er sie nur einmal im Jahr nutzen würden. Viele Katholiken bleiben in der Kirche, obwohl sie nur das Weihnachtsangebot wahrnehmen. Auf dieser Beobachtung kann und darf Kirche sich nicht ausruhen. Sie kann und darf diese Erkenntnis aber auch nicht ignorieren. Denn sonst wird sie tatsächlich zu einer Kirche des heiligen Rests.
Flügge, Erik / Holte, David: Eine Kirche für viele statt heiligem Rest, Freiburg 2018


Der Beitrag erschien zunächst bei futur2.

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