Freitag, 14. Februar 2025

Eine kleine Wärmeskulptur

Endlich nicht mehr dürsten - nach Liebe, nach Anerkennung.
Das ist das Versprechen Gottes. Wie schön wäre es, er würde es halten. Heute versuchen wir
im Gottesdienst, gemeinsam diesem Versprechen zu trauen. Ein hier leicht verändertet Text anlässlich der Beerdigung von Emil M.

Von Peter Otten

Was wünscht sich ein zwölfjähriger Junge 1959 in Österreich? Ich vermute, da hat sich gar nicht so viel verändert zu heute. Fußballspielen, mit dem Vater in den Bergen kraxeln, in der Sonne liegen, ein Eis essen, anfangen die Mädchen zu mögen. "Irgendwo auf der Welt gibts ein kleines bisschen Glück. Und ich träum davon in jedem Augenblick" - vielleicht einfach das, was Klaus gerade gesungen hat. Vieles spricht dafür, dass es dem jungen Emil auch so gegangen ist.

Aber die Umstände waren wohl nicht so. „Mein Vater musste mit zwölf Jahren arbeiten“ haben Sie mir gesagt, Frau M. Und Arbeiten habe sein Leben bestimmt. „Er hat immer gearbeitet.“ 1947 wurde Emil geboren. Da war der Krieg gerade zwei Jahre rum. Und was ein Krieg mit den Menschen macht, das wissen wir Nachgeborenen zum Glück nicht mehr unmittelbar. Menschen aus der Generation von Emil waren die inneren und äußeren Verwüstungen oft noch sehr präsent. Der kleine Emil, der als Kind zur Arbeit geschickt wird, um irgendeine Not zu lindern in der großen Familie mit sieben Kindern. Und in dessen kleinem Kinderherz sich bestimmt ein stummer Schrei nach Liebe bemerkbar gemacht hat. Der aber womöglich ungehört verhallt ist. Arbeiten, die Dinge des Tages regeln, Geld verdienen, schlicht überleben vielleicht. Als junger Mann führte Emil sein Weg ins Rheinland. Hatte sich bis zu ihm herumgesprochen, dass hier Arbeiter gesucht wurden? Womöglich. Wir konnten das im Gespräch nicht klären, was genau ihn von Österreich nach Köln führte.

Und Emil konnte anpacken. Lange hat er bei Felten und Guilaume gerarbeitet, aber auch in verschiedenen Baufirmen, unter anderem im Kanalbau. Schwere körperliche Arbeit. In unserem Gespräch hat mich vieles sehr berührt. Emils verlorene Kindheit hat in Ihrem Leben ein Echo gefunden. „Mein Vater hatte kein Verständnis dafür, wenn wir spielen wollten“. Vielleicht ist Emil da wieder in die Haut des Zwölfjährigen geschlüpft, dem selbst das Spiel genommen worden war. Vielleicht hat er sein Leben lang in einer Haut gesteckt, die er gern abgesstreift hätte - und konnte nicht heraus. „Mein Vater hat es uns nicht leicht gemacht“, auch das haben Sie gesagt. Vielleicht hätte er es Ihnen liebend gern leicht gemacht – und konnte es einfach nicht. Wer weiß das schon?

Mich hat sehr berührt, wie Sie Ihrem Vater, der es Ihnen nicht leicht gemacht hat, die Stange gehalten haben. „Er war doch unser Vater“ haben Sie gesagt. Sie haben bis zum Schluss für ihn gesorgt, ihn nicht sich selbst überlassen, obwohl Sie bestimmt oft die Faust in der Tasche gemacht haben. Ihn in seiner Krankheit zu sehen hat Sie nicht kalt gelassen. Bis zum Schluss waren Sie da. Und sind es noch, über seinen Tod hinaus. Deswegen sind wir ja heute hier und feiern diesen Gottesdienst. 

Was hat Ihr Vater gern gemacht? Mit Holz arbeiten, haben Sie gesagt. Skizzen und Pläne gezeichnet. Überlegen, was mal sein soll und das aufmalen. Die Natur hat sein Herz bewegt. Tierlieb war er und die Lieblingssendungen im Fernsehen seien Tiersendungen gewesen. Vielleicht war die Liebe zur Natur und zu den Tieren wenigstens ein Stück Heimat für Emils Sehnsucht. Habe ich gedacht, als ich über unser Gespräch gegrübelt habe. Ist natürlich Spekulation. Aber die stille Schönheit der Natur, das Leben in den Jahreszeiten – das kann ein Herz schon füllen.

Das Stück aus der Bibel, das wir gerade gehört haben war ein Stück aus der Offenbarung des Johannes. Die Menschen, die das aufgeschrieben haben erleben ihre kleine Glaubensgruppe in der Minderheit, empfinden große Bedrängnis. In geheimnisvollen poetischen Worten bringen sie aber ihre Zuversicht zu Papier. Es wird gut ausgehen. Was für starke Bilder! Gott wird die Tränen abwischen, die Tränen des Zwölfjährigen, der so gerne gespielt hätte. Die Tränen des dauerschuftenden Emil, der womöglich mehr Liebe verspritzen wollte, wenn er es doch nur vermocht hätte. Ihre Tränen wegen des Vaters, der doch Ihr Vater war, Ihr Ehemann. All das wird vorbei sein. Endlich nie mehr durstig sein! Nach Liebe, nach Anerkennung. Das ist das Versprechen Gottes. Und wie schön wäre es, er würde es halten! Heute versuchen wir gemeinsam - eine kleine Wärmeskulptur - im Gottesdienst, diesem Versprechen zu trauen. „Endlich bist du befreit!“ haben Sie auf die Schleife seines Urnenkranzes geschrieben. Das ist das Versprechen Gottes für jeden Menschen: Freiheit und Liebe. Vor allem für die Menschen, die sich ihr ganzes Leben danach gesehnt haben.

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