Sonntag, 10. Juli 2022

Marx und die Diakoninnen: Zelebration und Imagepflege

photo by Jon Tyson on Unsplash

Wenn Erzbischof Kardinal Reinhard Marx wirklich möchte,
dass Frauen Diakoninnen werden sollen, könnte er ja den Papst um ein Indult bitten. Aber das passiert nicht, aus guten Gründen. Wer sich vor diesem Hintergrund mit dem „Die Zeit ist Reif“-Spruch vor Frauen in Szene setzt, zelebriert nur sich selbst. 

Von Norbert Lüdecke

Samstag, 2. Juli 2022 im Münchner Liebfrauendom: Kardinal Marx predigt im Festgottesdienst zum 150. Geburtstag von Ellen Ammann (1870-1932), einer zweifelsfrei interessanten und führenden Gestalt der katholischen Frauenbewegung. Über zwölf Minuten wiederholt Marx in Schleifen: Maria wie die Gefeierte teilten das richtige biblische Gottesbild, wonach Gott und die Menschen mit ihrem Leid, Gebet und Leben nicht zu trennen seien. Kennt man, alles so und anders vielfach gehört, man kann sich also dem Predigtschlummer hingeben. Aber kurz vor Ende der 14minütigen Predigt (bei Position 12:45) wird man unsanft geweckt, denn aus den anlassbegründet vor allem mit Frauen besetzten Kirchenbänken wird fast eine halbe Minute laut applaudiert. Was hat Marx gesagt? Marx hat das Amt des Diakons erwähnt und hinzugefügt: „Ich glaube, dass die Zeit reif ist, dass es für Männer und Frauen offenstehen muss und soll“. Das löste den spontanen Applaus aus und anschließend den Schlagzeilen-Durchmarsch: „Kardinal Marx für Frauen-Diakonat“. Na also, werden viele Reformhoffnungsgeneigte gedacht haben, da ist er doch wieder: einer der Guten unter den deutschen Bischöfen und Kardinälen, enger Papstberater, Mitinitiator und Stütze des „Synodalen Weges“, und stellt sich hinter das Anliegen der Frauenordination, mit der Diakoninnenweihe als erstem Schritt zur vollen Öffnung des Weihesakramentes auch für Frauen und damit zur wirklichen Teilung der Gewalten unter beiden Geschlechtern. Läuft doch endlich, oder? Eher „oder“, wenn man sich die Zeit nimmt, näher hinzuschauen, wozu da applaudiert wurde.

Das Beste ihres Lebens

Der redetaktisch gegen Ende gebrachte Satz klingt nach „Frauendiakonat jetzt“ und soll das wohl auch. Denn „die Zeit ist reif“ heißt ja, der erreichte Entwicklungsstand fordert zwingend Konsequenzen, was Marx durch die allerdings verunglückte Reihung von „muss und soll“ (umgekehrt wäre es die wohl beabsichtigte Steigerung) unterstreicht. Schon schwächer klingt, dass Marx an die Reife der Zeit nur „glaubt“, nicht im theologischen, sondern im umgangssprachlichen Sinn, d.h. er hält es für möglich oder wahrscheinlich, ist allenfalls verhalten überzeugt. Und was er davor und danach sagt, zeigt zudem: Es geht wieder einmal um ein typisch katholisch gedehntes „jetzt“. Zuvor weist er darauf hin, die Überlegungen, wie der vom II. Vatikanischen Konzil wiederentdeckte Diakonat konkret aussehen kann, seien „nicht zu Ende“, da sei man auf dem Weg, und er „hoffe“, man könne ihn weitergehen. Und nach seinem Kernsatz ergänzt er, da werde noch viel theologisch und praktisch gearbeitet, wofür er offenbar auch noch Bedarf sieht. Worin dieser genau besteht, erfährt man allerdings nicht; Marx bleibt orakelhaft, aber der Kardinal wird’s schon wissen. Schon wer genau hinhörte, hätte deshalb der Harmlosigkeit seiner Aussage gewahr werden und eine gesunde Klatschhemmung bekommen können.

Aber selbst, wer den Satz so nehmen will, wie er wohl wirken soll, hätte den Kardinal doch zu fragen: Und weiter? Und zur Sicherheit auch noch: Was ist mit Diakonat gemeint? Wirklich die erste der drei Stufen des Weihesakramentes oder doch nur das von Kardinal Kasper schon 2013 vorgetragene Modell, Frauen außerhalb des Ordo zu „Gemeindiakoninnen“ zu segnen, sie also im Laienstand zu belassen, aber durch ein frauenspezifisches Sakramentale (nicht Sakrament!) die in amtlicher Sicht besonderen Persönlichkeitswerte der Frau auszuzeichnen, insbesondere ihre „tiefgründige Intuition“, „das Beste ihres Lebens“ bestehe im Einsatz für das Wohl des anderen? Eine Variante, die Frauen zu Recht als Abschiebung in ein „Diakonat zweiter Klasse“ empfinden, als Jodel-Diplom, damit die Frau was Eigenes hat (Christiane Florin), ohne an die bestehenden Machtarrangements zu rühren. 

Mägde der heiligen Kirche

Marx erinnerte in der Predigt daran, dass sein Vorgänger Kardinal Faulhaber den Wunsch der Frauen um Ellen Ammann, sie zu Diakoninnen zu weihen, abschlug. Stattdessen segnete er sie und gestattete ihnen, sich in ihrer frommen „Vereinigung katholischer Diakoninnen“ wenigstens so zu nennen, ohne es zu sein. Um jedem Missverständnis vorzubauen, verfügte die römische Religiosenkongregation 1952 mit der Anerkennung als Säkularinstitut auch die Umbenennung in „Mägde der heiligen Kirche“ („Ancillae Sanctae Ecclesiae“), eine Bezeichnung, die den Menschendienst verschiedener weiblicher Gemeinschaften unter das Leitwort Lk 1,38 stellte: „Siehe, ich bin die Magd des Herrn“. Marx stellt sich in seiner Predigt nun aber, wenngleich mit einem Effet weg vom binnenkirchlich Liturgischen hin zum Weltdienst, hinter den Konzilsdiakonat, also der Eintrittsstufe in den Klerikerstand.

Gut, wenn das so ist, wäre weiter zu fragen: Was hat er denn getan oder vor zu tun, dass aus seiner Option ein Faktum wird? Er weiß ja, dass trotz einzelner verschärfender Äußerungen von Kurialen (detaillierte Belege dazu wie zum Folgenden bei Anuth) der Diakoninnenweihe bislang nur eine Norm rein kirchlichen Rechts entgegensteht (c. 1024 CIC). Von ihr kann der Papst dispensieren oder für bestimmte Teilkirchen eine Ausnahmegenehmigung erteilen (Indult). Der Appell an Bischöfe, den Papst genau darum zu bitten, ist seit 27 Jahren kirchenrechtlich fundiert öffentlich und auch an die deutschen Bischöfe schon 1997 von einem Internationalen Fachkongress zum Frauendiakonat in Stuttgart gerichtet worden. Vom damaligen Weihbischof Marx war nichts zu hören, auch nicht vom Münchener Erzbischof, als 2011 die Bischofskonferenz erklären ließ, das ZdK belaste mit seiner Forderung nach dem Frauendiakonat das Gespräch mit den Bischöfen. Vor fast 10 Jahren sah dann bereits Kardinal Lehmann die Zeit für eine verbindliche Entscheidung gekommen. 2019 hat Bischof Fürst den Frauendiakonat als „Zeichen der Zeit“ gewertet und dazu aufgefordert, die vorliegenden Forschungsergebnisse „mutig zu nutzen, um einen Diakonat der Frau einzuführen.“ 2020 hielt das der Vorsitzende der Bischofskonferenz Bätzing für „sehr legitim“ und eine entsprechende Bitte seitens des „Synodalen Weges“ für möglich, allerdings nicht ohne bremsend hinzuzufügen, endgültige Entscheidungen könne nur ein Konzil treffen – ein kompletter Unsinn angesichts des Dogmas vom Jurisdiktionsprimats des Papstes, der nichts, aber auch gar nichts vorrangig einem Konzil überlässt. Dürfte man nicht aufgrund des von allen Diözesanbischöfen vor ihrem Amtsantritt geleisteten Treueids von ihrer 100%igen Papstergebenheit ausgehen, könnte man sich um einen konziliaristischen Schwächeanfall ihres Vorsitzenden sorgen.

"Mit dem Indult habe ich ein Problem"

Warum hat der Papstberater Marx nicht schon längst selbst oder im Verbund mit gleichgesinnten Mitbrüdern im Bischofsamt mit dem ihm möglichen Nachdruck den Papst um ein solches Indult für den Frauendiakonat ersucht? Auf der 3. Vollversammlung des „Synodalen Weges“, die genau dies befürwortete, klang das so (ab Position 9:29:37): Er stimmte seinem Vorredner Bischof Bode zu, der den Frauendiakonat nicht via Indult aus Gnade, sondern aus Gerechtigkeit will. Richtig – so Marx – das bleibe schwierig, sei „schwer vermittelbar. Wie ich die römischen Verhältnisse kenne, kann ich mir das nicht vorstellen. Wie soll das kommen? Die Kommission ist zwei Mal eingesetzt worden, die Mitglieder der Kommission können Sie sich ja anschauen. Da braucht man nicht viel Phantasie. Also da muss ich ein bisschen ernüchtern und wirklich, also, ein Votum für den Diakonat der Frau, das ist für mich kein Thema und auch der für eine Weiterentwicklung des Diakonats vielleicht, aber mit dem Indult habe ich ein Problem, weil das wirklich in der Öffentlichkeit und auch innerkirchlich in eine komische Richtung führt.“ Komischer als die Option des „Synodalen Weges“ ist eher der Hinweis des Kardinals auf die Kommissionen. Sie sie sind für den Papst so verbindlich wie der „Synodale Weg“ für die deutschen Bischöfe, nämlich überhaupt nicht. Es ist der Papst selbst, der schon im Nachsynodalen Schreiben „Querida Amazonia“ (Nr. 100) klargestellt hat: Die Forderung nach einer Weihe von Frauen führe zu ihrer, den besonderen Wert der Frau subtil herabmindernden Klerikalisierung. Statt also das angeblich geteilte Anliegen mit der von ihm gewohnten Wucht vor den Papst zu tragen und sich im Falle einer Abfuhr wenigstens an der Seite der Gläubigen gezeigt zu haben, möchte Marx lieber nicht dazu aufgefordert werden, sondern sich mit dem x-ten öffentlichen Votum für den Frauendiakonat begnügen. Aber man ahnt, wie es kommen wird, wenn man liest, wie beim Australischen Plenarkonzil das ursprüngliche Votum für die Diakoninnenweihe trotz überwältigender Mehrheit des Gesamtgremiums an der fehlenden Mehrheit der Bischöfe scheiterte und dann in ein butterweiches Null-Votum umformuliert wurde. Auch Marx bläst ein wenig in das Fünkchen Hoffnung, will aber kein Feuer. 

Diener-Diener und Leiter-Diener

Deshalb schweigt er auch zu der ebenfalls auf dem „Synodalen Weg“ notorischen Illusion, der Frauendiakonat wäre der erste Schritt, auf den die Zulassung von Frauen zu den anderen Weihestufen folgen könnte. Das kann sie nämlich nicht, jedenfalls nicht ohne einen fundamentalen Selbstwiderspruch des kirchlichen Lehramts: Die als vom ordentlichen und universalen Lehramt der Bischöfe unfehlbar vorgelegte Lehre von der Unmöglichkeit der Priester- und damit auch der Bischofsweihe von Frauen führte mit der ggf. ermöglichten Diakonninenweihe die Geschlechterhierarchie nur innerhalb des Klerikerstandes fort: Es gäbe weiterhin Diakone mit Priester/Bischofsoption und ständige Diakoninnen ohne diese Option. Zudem hat bereits Papst Johannes Paul II. den Diakonat doktrinell deutlicher von den beiden höheren Weihestufen abgeschichtet und sein Nachfolger den Codex entsprechend geändert. Danach agieren nur Priester und Bischöfe aufgrund ihrer Befähigung zu Konsekration, Absolution und besonderer Leitung in persona Christi Capitis. Die Diakone repräsentieren anders, nämlich indem sie in der Diakonie der Liturgie, des Wortes und der Liebe dienen (c. 1009 § 3 CIC). Insofern jede Weihe zum Dienen befähigt, würden zwar auch Frauen sich als wesensverschieden von Laien fühlen dürfen, aber nur zu den Diener-Dienern gehören, während allein Männer die Leiter-Diener blieben. Der weibliche Partizipationsgewinn wäre sehr überschaubar, einen Machtgewinn gäbe es nicht.

Wer sich vor diesem Hintergrund mit dem „Die Zeit ist Reif“-Spruch vor Frauen in Szene setzt, deren Zustimmung er sich so sicher sein kann, wie „Froh über Diakoninnen“-Worte reichen, "um in der katholischen Kirche Kardinal auf liberal zu reimen“, und mit der wahrscheinlich schon bereitliegenden Pressemitteilung die entsprechende Schlagzeile vorgibt „Kardinal Marx spricht sich für Öffnung des Diakonats von Frauen aus“, zelebriert nur sich selbst, instrumentalisiert die Predigt in der Eucharistiefeier für reine Imagepflege und verspottet nicht nur die Frauengemeinschaft, zu deren Feier er gebeten war.

Aber mit Katholik:innen kann man’s ja machen.

Prof. DDr. Lic. iur. can. Norbert Lüdecke ist emeritierter Professor für Kirchenrecht an der katholisch-theologischen Fakultät der Universität Bonn.

2 Kommentare:

  1. Frauen sollten in der Gesellschaft eine andere Rolle spielen als Männer; aber keine untergeordnete Rolle. Das kirchliche Christentum entspricht nur teilweise dem Wahren Christentum. Bitte googeln: Manifest Natura Christiana

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  2. Hervorragend - und für mich als rk Zaungast absolut erheiternd. Christine Koch

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