Dienstag, 31. Mai 2016

Katholikentage der Ungleichzeitigkeit

Der Katholikentag im säkularen Leipzig wurde immer wieder als Experiment bezeichnet, das dringend notwendig sei. Tatsächlich erzeugte das Aufeinandertreffen von Säkularismus und frommem theologischen Treiben immer wieder für Spannung. Schwierig war sie, wenn katholische Amtskirche im missionierenden Festgewand auf Stadt und Menschen herab sah. Fruchtbar hingegen, wenn Theologie und Kirche den Eindruck zuließen, andere Religionen oder gar die säkulare Welt hätten ihr durchaus etwas zu sagen – oder sogar Mut zur Leerstelle bewiesen.

Von Norbert Bauer

Eröffnungsgottesdienst Fronleichnam mit ca. 10 000 Menschen. Unter freien Himmel, mitten in der Stadt an einem normalen Arbeitstag in Leipzig. Erzbischof Dr. Heiner Koch braucht genau 30 Sekunden, um den fröhlich Versammelten und den Neugierigen in gedrechselten Worten zu sagen, wie schlecht sie sind: „Und immer wieder wird aus der Sehnsucht nach mehr eine Sucht: die Armut an Lebenssinn wird zur Gier nach Lebensmitteln, die Armut an Gewissheit zur Gier nach Sicherheit, die Armut an Anerkennung zur Gier nach Beifall. Und immer wieder dieser völlig überfordernde Glaube vieler Menschen, sie könnten ihren Hunger nach mehr selber stillen mit allen Konsequenzen: verhärtete Herzen, eine entsolidarisierte Ellenbogengesellschaft und Mauern, die Menschen abweisen.“

Es wird ja gerne gesagt, dass Jesus sterben musste, weil der Mensch so schlecht ist. Josef Wohlmuth und Mischa Brumlik diskutierten darüber in der Veranstaltung „Der Prozess Jesu als Drama über Gerechtigkeit und Erlösung“ . Wenn Juden und Christen miteinander diskutieren, bleibt die Frage, ob Jesus der Messias war, nicht aus. Der tägliche Blick in die Zeitung zeigte beiden, dass die Welt offensichtlich nicht erlöst ist. Professor Wohlmuth sagte daher irgendwann konsequent und ehrlich: „Deswegen sitzen wir bedröppelt hier und wissen nicht, ob Jesus der Messias war.“

Im selben Raum stellte sich die Rabbinerin Elisa Klapheck einen Tag später beim biblischen Impuls dem Psalm 8. „Was ist der Mensch?“ lautet die Überschrift ihrer Gedanken. Sie stieg tief ein in die Exegese. Im überfüllten Saal des Ariowitsch Hauses hörten und staunten etwa 150 Menschen, viele junge sind darunter. Klappheck zeigte die Brüche und Spannungen des Textes. Der Pastoraltheologe Günther Schöttler neben ihr bügelte den Text glatt und macht daraus eine schon zu oft gehörte Appellpredigt: „Wir müssen als Menschen verantwortungsvoll mit der Schöpfung umgehen.“ Die Rabbinerin blieb bei ihrer Linie. Ihr geht es bei der biblischen Lektüre nicht nur um die Frage. „Was sagt mir der Text?“ sondern vielmehr umgekehrt: „Was habe ich (zu) dem Text zu sagen“.


Kulturprogramm beim Katholikentag. 10000 pilgerten zu den Wise Guys - 50 zu einem Literaturgespräch. Johannes Schröer hatte den aktuellen deutschen Buchpreisträger Frank Witzel mit dem Schriftsteller Ingo Schulze zusammengebracht. Frank Witzel erzählte, wie er selbstverständlich katholisch aufwuchs. Bis die Pfarrei eine Gemeindemission startete. "In dem Moment, wo ich praktisch bekehrt werden sollte, ist genau das Gegenteil passiert: ich wurde praktisch erst aufmerksam, dass die Natürlichkeit des Glaubens, so wie ich sie empfunden habe, anscheinend von außen betrachtet gar keine ist." Hoffentlich geht es den Leipzigern nach dem Katholikentag nicht genauso.


Der Katholikentag wollte die Realität wahrnehmen. Prostitution ist eine Realität in dieser Gesellschaft. Und noch dazu ein aktuelles Thema. Zurzeit wird im Bundestag das Prostituiertenschutzgesetz debattiert und das ZdK hat eine Stellungnahme abgegeben. Trotzdem kamen nur ca. 20 Interessierte, um über das Thema „Zwischen Freiheitsrecht und Recht auf Schutz - Prostitution als Menschenrechtsproblem“ zu diskutieren, obwohl mit Sr. Lea Ackermann ein „Promi“ auf dem Podium saß. Ob sich mehr Männer und Frauen für das Thema interessiert hätten, wenn mit mehr Mut zur Kontroverse auch ein(e) Prostitution-Befürworter(in) auf der Bühne eingeladen worden wäre?

Wie während der Tage oft genug zu hören war, wohnen in Leipzig nicht viele Katholiken. Deswegen gab es auch den Themenbereich „Leben mit und ohne Gott“. Da kam man sogar ohne Eintritt rein, beispielsweise zur Veranstaltung „Glaubenserfahrung ohne Religion? Säkulare und theistische Formen der Mystik“ mit Prof. Dr. Hans-Joachim Höhn und P. Dr. Reinhard Körner OCD. Der Theologe betrachtete Mystik phänomenologisch, der Exerzitienleiter existentiell. Das waren beides sehr beeindruckende Vorträge. Trotzdem: Gerade hier hat jemand gefehlt, der Mystik auch ohne Gott für sich entdeckt hat.
Ich habe Angst vor katholischen Veranstaltungen, die mit „provokant und originell“ beworben werden. Daher bin ich nicht zu „Seht da ist der Slam“ gegangen. Was ich aber nachher davon erfahren habe, klang großartig: Sieben bekannte  Slammer stellten sich dem Motto „Seht da ist der Mensch“ bei einem Poetry-Wettbewerb. Mehrere hundert Katholikentagsbesucher kamen. Der vorgesehene Raum reichte nicht aus, obwohl nebenan Anselm Grün auftrat. Vielleicht war die Veranstaltung so erfolgreich, weil das Katholikentagsprinzip auf den Kopf gestellt wurde: Nicht Katholiken sagen der Welt, was sie so denken und meinen, sondern umgekehrt. Offensichtlich ein Gedanke, der viele Menschen betrifft. Also: Bitte mehr davon in Münster.

„Braucht eine humane Gesellschaft mehr als Recht und Gesetz?“ wurde bei einem gut besuchten „Podium“ gefragt. Und natürlich weiß jeder bei einem Katholikentag, was mit „mehr“ gemeint ist: Barmherzigkeit. Der Theologe Magnus Striet wies in seinem klugen Eingangsreferat darauf hin, dass Barmherzigkeit gerade für Gesellschaften und Organisationen attraktiv zu sein scheint, die keine Individualrechte garantieren, wie z.B. für die katholische Kirche. Mit Blick auf die Flüchtlinge betonte er, dass die Haltung der Barmherzigkeit zwar wichtig sei, für eine nachhaltige Integration seien jedoch verbriefte Rechte entscheidender. Sonja Brogiato vom Flüchtlingsrat Leipzig durfte bei dieser Veranstaltung von ihrer Arbeit berichten und bekannte, dass sich seit ihrem Engagement in der Flüchtlingsarbeit so katholisch wie schon lange nicht mehr fühle. Evelyn Finger von der ZEIT entgegnete diesem Bekenntnis, dass dies ja schön und gut sei, aber Horst Seehofer, fühlt sich bei seinem Kampf gegen die Willkommenskultur gewiss auch katholisch. Es ist also nicht mal mehr möglich, über den Begriff der Katholizität Einigkeit zu erzielen.


Aber ist das schlimm? Eigentlich nicht. Die Ausdifferenzierung der Welt, der Haltungen und Überzeugungen der Menschen sowie die mit Händen zu greifende Ungleichzeitigkeit mögen verunsichern. Theologischen Überzeugungen tut es jedoch gut, wenn sie nicht im Gewand der Besserwisserei daher kommen und sogar bereit sind, manche Leerstelle in der Gottes- und Weltdeutung gemeinsam mit denjenigen auszuhalten, die nicht an Gott glauben, erst recht nicht an den, den die katholische Kirche bezeugt.


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