Mittwoch, 11. Mai 2016

Die Sprache, in der wir geboren sind


Foto: Peter Otten
Pfingsten erzählt davon, wie jemand sein Sprechen und seine Sprache ändert. Ein paar Gedanken vor Theologiestudierenden in Bonn.

Von Peter Otten

"Wieso hören wir jeder unsere Sprache, in der wir geboren sind?" (Apg 2,8)

Wenn Menschen zu mir ins Praktikum kommen, dann sollen sie einen weiten Einblick in das bekommen, was sie als PastoralreferentIn oder GemeindereferentIn tun werden. Dazu gehören dann auch Einblicke in das katechetische Agieren im Gottesdienst. Die Leute sollen lernen, dass beispielsweise ein Schulgottsdienst nicht etwa die leichteste Übung im Alltag eines Seelsorgers / einer Seelsorgerin ist, sondern oft unterschätzte hohe Kunst, mit der man es sich niemals zu leicht nehmen darf. Ich erkläre und zeige ihnen meistens, wo sie wann am besten stehen. Ich lege Wert darauf, dass sie eine Mikrofonprobe machen und sich selbst und ihrer Stimme nachlauschen. Und ich lege Wert darauf, dass sie sich im Klaren darüber sind, wie und worüber sie sprechen wollen. Denn die Sprache und das Sprechen sind wohl ihre wichtigsten Werkzeuge.


Was das genau bedeutet, darüber könnte man Werkwochen und Seminare abhalten. Zurecht. Dafür ist heute keine Zeit. Ich möchte aber auf einen Punkt eingehen, der mir bei der Pfingstgeschichte ins Ohr gesprungen ist. Da gibt es nämlich diesen besonderen Satz, den Hubertus Halbfas sehr originell und wunderbar folgendermaßen übersetzt: „Wieso hören wir jeder unsere Sprache, in der wir geboren sind?“


Aus der ominösen Menge der Menschen, die Zeugen dieses Sprechwunders, dieses Sprachereignisses sind kommt dieser Satz. Und wer genau hinhört mag die Erleichterung und Verblüffung spüren, die in diesem Satz mitschwingt. Da ist etwas passiert, was Menschen lange nicht erlebt haben, womit sie vielleicht nie mehr gerechnet haben. Sie haben sich damit abgefunden, dass es wohl nie passiert, seufzend vielleicht, aber ergeben. Aber nun ist es doch passiert, überraschenderweise: „Wieso hören wir jeder unsere Sprache, in der wir geboren sind?“

Es gebe viel über eine Situation wie diese zu sprechen. Da spricht jemand an mir vorbei. Da benutzt jemand eine Sprache, die ich nicht verstehe. Die nicht meine ist. Da setzt jemand voraus, dass ich ihn schon verstehe, weil er oder sie doch der Fachmann / die Fachfrau ist. Da wird das Sprechen, die Sprache als Machtinstrument eingesetzt, zum Beispiel durch Fachwörter oder durch langes verschachteltes Sprechen. Das passiert im Alltag, auf dem Amt, im Geschäft - wo auch immer.
 

Dies ist aber auch die Situation in der Kirche. Es ist doch so: Menschen sagen oft, hier spricht niemand meine Sprache. Sie haben häufig erlebt, dass der Sprechende die Sprache ihrer Geburt gar nicht zur Kenntnis nimmt und auch meint, das gar nicht nötig zu haben. Und damit passiert ja noch viel mehr: mit dem Desinteresse an der Sprache der Geburt ist ein Desinteresse an ihrer Geschichte, an den Umständen des Heranwachsens, der Biographie, an dem, was sie zu dem / der gemacht hat, der / die sie sind verbunden. Die Kirche präsentiert sich dann als Heilsanstalt, die Macht über die Sprache / das Sprechen beansprucht. Ich meine damit zum Beispiel die pastoralen Floskeln, mit denen unsere Sprache und unser Sprechen gesättigt ist. Ich meine das viele unüberlegte nicht vorbereitete, undurchdachte Sprechen. Ich meine das Sprechen ohne Spannungsbogen. Ich meine das lehramtliche kalte sezierende Sprechen, zum Beispiel über Liebe und Sexualität.

Ich meine aber auch das Sprechen von und über Gott. Gerade an Ostern bin ich darüber ins Nachdenken gekommen. In vielen Texten, die zu hören waren hieß es zum Beispiel wieder: "Jesus ist für unsere Sünden gestorben." Was ist das für ein Satz? Warum muss jemand wegen mir sterben? Bin ich ein böser, schlechter Mensch? Geschieht das, was wir Erlösung nennen durch eine Bluttat? Was macht das für einen Sinn? Wie soll sich jemand damit identifizieren? Wie viele Menschen haben an diesem Satz ihren Glauben verloren. Das bedeutet nicht, dass der Gedanke an sich falsch wäre. Aber er benötigt doch ein tieferes Nachdenken: Natürlich geschieht Erlösung aus einer verfahrenen Situation, indem jemand nachgibt und zum Beispiel einen Teil seiner Macht sterben lässt. Und doch ist der Satz ins Blaue hinein gesagt für viele verstörend. Ich könnte unzählige Beispiele anführen, in denen Seelsorgerinnen und Seelsorger - sicherlich auch ich selber - an den Menschen vorbei sprechen und sie allein lassen. In diese Situationen wird heute dieser Satz gesprochen: „Warum hören wir heute in der Sprache, in der wir geboren sind?“ Es ist jedenfalls eine Situation totaler Ernstnahme. Da spricht jemand und er spricht wie ich.


Das ist wohl Pfingsten: Wenn einer kommt und in meiner Sprache spricht. Und damit meine Geschichte, meine Existenz, meine Not, meine Stärken und Schwächen wertschätzt, ins Wort bringt, nicht verurteilt. Wenn ich gemeint bin. Der Heilige Geist, das ist ja genau der, der uns nach rechts und links blicken lässt, auf diejenigen, die mit mir sind. Wir bemerken das jedesmal dann, wenn wir das Kreuzzeichen machen und uns dabei nach links und rechts drehen.

Ich wünsche euch, dass ihr für eure professionelle Zukunft, möglicherweise irgendwo und irgendwie im Dienst der Kirche diesen Gedanken mitnehmt: Sprecht in der Sprache der Menschen, in der sie geboren sind. Belehrt sie nicht. Seid deutlich und klar im Sprechen, aber niemals übergriffig, besserwisserisch. Sprecht nicht überheblich und niemals an den Menschen vorbei. Denn ihr könnt euch sicher sein: Wenn wir überhaupt etwas davon wissen, wie Gott ist, dann das: Er benutzt wirklich die Sprache der Menschen, und zwar die, in der sie geboren sind.

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