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Mittwoch, 12. Juni 2024

Losverfahren für mehr Beteiligung? Eine Einordnung

Foto: brit berlin / pixelio.de
Losverfahren sind „organisierter Zufall. Sie hängen maßgeblich
von Entscheidungen im Vorfeld ab.
Wenn das Erzbistum Köln nun mit stärkerer Beteiligung wirbt, bleibt die Frage, um wessen Beteiligung es hier eigentlich geht.

Von Jonas Maria Hoff

Das Erzbistum Köln stellt seinen Diözesanpastoralrat neu auf und greift dazu auf ein ungewöhnliches Entscheidungs- und Auswahlformat zurück: das Losverfahren. Dabei hat sich das Erzbistum – der eigenen Pressemitteilung zufolge – von Bürgerräten inspirieren lassen, die in verschiedenen Demokratien zu Beratungszwecken eingesetzt werden. Auch in Deutschland hat es jüngst einen solchen Bürgerrat zum Thema Ernährung gegeben. In diesem Gremium haben ausgeloste Büger:innen zu grundlegenden Fragen der Ernährung beraten und Handlungsempfehlungen für den Deutschen Bundestag beschlossen. Das Erzbistum Köln übernimmt nun nicht nur den Los-Mechanismus, sondern auch die zentrale politische Begründung für Losverfahren. Es gehe um „stärkere Beteiligung“.


Wie erstaunlich der Schritt des Erzbistums ist, zeigt ein kurzer Blick in die Kirchen- und Theologiegeschichte. Das Losen hat hier nämlich keinen allzu guten Ruf. Auch wenn zahlreiche biblische Belege für Losverfahren vorliegen, hat die katholische Kirche sich mit dieser Praxis nie richtig anfreunden können. Im Jahr 1225 gipfelt die kirchliche Zurückhaltung sogar in einem päpstlichen Verbot von Losverfahren – zumindest bei der Vergabe kirchlicher Ämter. Die Gründe für dieses Verbot sind vielfältig. Eine bis heute maßgebliche theologische Analyse hat Thomas von Aquin nachgeliefert. Sie bietet Anhaltspunkte, die auch für die theologische Bewertung des Kölner Losverfahrens wichtig sind. Thomas unterscheidet zwischen drei Formen des Losens: dem verteilenden Los (sors divisoria), dem beratenden Los (sors consultativa) und dem weissagenden Los (sors divinatoria). In den ersten beiden Fällen geht es bspw. um die Verteilung begrenzter Güter oder die Lösung von Patt-Situationen. In solchen Situationen hält Thomas das Los für vertretbar. Unzulässig sei es dagegen, Gott zum Handeln zwingen zu wollen. Bei der dritten Form sieht er diese Gefahr gegeben. Als Offenbarungskatalysator taugt das Los seines Erachtens nicht. Auf dieser Linie sollten auch Losverfahren in kirchlichen Kontexten nicht einfach als Handeln Gottes verkauft werden.


Nach Barbara Goodwin sind Losverfahren „organisierter Zufall“. Das macht darauf aufmerksam, dass Losverfahren maßgeblich von Entscheidungen im Vorfeld abhängen. Wenn zu Beginn eines Fußballspiels ausgelost wird, welche Mannschaft anstoßen darf, müssen vor dem Münzwurf überhaupt erstmal die Optionen festgelegt werden. Ebenso muss bei Personalentscheidungen per Los zunächst bestimmt werden, aus welchem Pool überhaupt gelost wird. Das Los ist in machttheoretischer Perspektive deshalb nicht einfach neutral. Umso wichtiger ist es, genau auf den Rahmen zu achten, in dem es stattfindet.

Der Kölner Generalvikar hat bereits mitgeteilt, dass sechs der 18 Plätze an Menschen unter 30 Jahren gehen sollen. Auch die weiteren Plätze werden wohl nach Merkmalen sortiert: Jeweils vier Plätze sind für Personen über 70 Jahren, Personen aus städtischen sowie Personen aus ländlichen Gemeinden vorgesehen. Diese Gruppen bilden jeweils eigene Los-Töpfe. Das bedeutet auch, dass die Stadt-Land-Differenzierung letztlich nur die Gruppe der 30- bis 70-Jährigen betrifft. Bei den U-30- und den Ü-70-Personen wird diese Unterscheidung hingegen nicht eingezogen. Rechnerisch ist deshalb möglich, dass von den 18 gelosten Plätzen 14 an Stadt-Katholik:innen gehen. Zumindest in dieser Hinsicht geht taugt das Instrument also nicht dazu, Parität abzusichern, sondern lediglich dazu, eine Mindest-Repräsentanz zu gewährleisten – dann aber eben begrenzt auf die Altersgruppe 30-70 Jahre.

Das Losverfahren im Erzbistum Köln wird also im Vorhinein eingeschränkt. Das ist auch beim säkularen Vorbild, dem Bürgerrat, der Fall. Allerdings gibt es hier ein komplexes mehrstufiges Verfahren, das eine möglichst hohe Repräsentativität ermöglichen soll. Zu diesem Vorverfahren gehört u.a., dass ausgelost wird, aus welchen Wahlkreisen sich überhaupt Personen bewerben können. Auf der ersten Verfahrensstufe wird deshalb indirekt aus der Gesamtbevölkerung gelost. In weiteren Schritten wird der Kreis dann verengt. Das begünstigt eine repräsentative Auswahl, die aber aufgrund einer zu geringen Zahl der Teilnehmenden nicht völlig eingelöst werden kann. Dieses Problem betrifft den Diözesanpastoralrat noch einmal stärker, geht es hier doch nur um 18 und nicht wie beim Bürgerrat um 160 Plätze. Entscheidende gesellschaftliche Differenzierungen lassen sich so überhaupt nicht abbilden. Das Verfahren des Bürgerrats sichert zudem ab, dass grundsätzlich alle Bürger:innen im Mindestalter von 16 Jahren direkt angesprochen und zu einer Beteiligung am Verfahren eingeladen werden könnten. Im Erzbistum Köln ist hingegen ein freies Bewerbungsverfahren ohne direkte Ansprache vorgesehen. Die eingehenden Bewerbungen werden auf die vier Los-Töpfe verteilt. Der Journalist Andreas Otto hält deshalb richtig fest: „Theoretisch könnten konservative wie reformorientierte Katholiken – auch organisiert – die Gunst der Stunde nutzen, und sich überproportional in die Lostrommeln werfen.“

Zu den maßgeblichen Einschränkungen im Vorfeld gehört auch, dass nur ein Teil des Diözesanpastoralrats durch Los ausgewählt werden soll. Hier zeigt sich wiederum eine Abweichung vom Bürgerrat, der als Gremium vollständig gelost wird. Brisant wird diese Abweichung, wenn beachtet wird, für welche Gruppen das Los im Erzbistum eingesetzt werden soll und für welche nicht. Im Erzbistum wird das Los ausschließlich über die Gruppe der Lai:innen entscheiden. Die Kleriker bleiben ausgespart. Die Verlosung von 18 Lai:innen-Tickets führt dabei auch zu einer Schwächung des Diözesanrats, der nicht mehr wie bislang zehn, sondern fortan nur noch zwei Sitze vergeben darf. Insgesamt ist die Veränderung zwar Teil einer grundlegenden Reform des Diözesanpastoralrats, in der das gesamte Gremium von 75 auf 51 Mitglieder verkleinert werden soll, dennoch erweist sich die Reduktion der Diözesanrat-Mitglieder als überproportional. Das Los geht hier auf Kosten einer Institution, die in den letzten Jahren immer wieder mit Kritik am Erzbischof aufgefallen ist. Wenn das Erzbistum Köln nun also mit stärkerer Beteiligung wirbt, bleibt die Frage, um wessen Beteiligung es hier eigentlich geht.

Jonas Maria Hoff ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Fundamentaltheologischen Seminar der Universität Bonn.

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