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Freitag, 7. Mai 2021

Viel ging, als Vertrauen ging

Am Anfang war das Wort. Wenn das Wort aber nicht mehr bei Gott ist, ist die seelsorgerische Arbeit unmöglich. Ein paar Gedanken an die Bistumsleitung, vor allem über Vertrauen, eine Woche später.

Von Peter Otten

Nun hat die Dunkelheit also auch St. Agnes erreicht. Der Sachverhalt ist hier nachzulesen. Der leitende Pfarrer hat hier Stellung bezogen. Als Ergebnis steht fest, dass ihr in der Bistumsleitung in dieser Causa weder mich noch meine damaligen KollegInnen über den Sachverhalt informiert habt. Und uns damit sehenden Auges in die schlimme Situation gebracht habt: dass wir uns auf eigene Faust unter großem Zeitdruck mit einer eidesstattlichen Erklärung gegen absurde Vorwürfe wehren mussten.

Und ich frage mich ungläubig: Ist euch das eigentlich egal? Offensichtlich, denn das Gegenteil habe ich jedenfalls noch nicht vernommen. Es scheint euch egal zu sein. Sonst hättet ihr es ja sagen können. Ihr hättet sagen können: „Entschuldigung, wir haben euch in eine schlimme Situation gebracht.“ Tja. Aber vielleicht findet ihr sie ja gar nicht schlimm. Deswegen muss ich sagen: Ich finde sie sehr schlimm. Und deswegen muss ich nach dieser Woche für mich feststellen, was auf dem Spiel steht: So ziemlich alles. Das Vertrauen nämlich.

"Am Anfang war das Wort. Und das Wort war bei Gott. Und das Wort war Gott."

Der Glaube beginnt damit, dass einer mit dem Erzählen beginnt. Ein Wort (eine Geschichte, einen Trost) hinlegt – und ein anderer dieses Wort belastet. Was bedeutet: Ein anderer diesem Wort vertraut. Dann ist das Wort bei Gott. Das ist der Glaube: das Vertrauen auf etwas, auf eine Wirklichkeit, die ich nicht selbst herstellen kann. Und von der ein anderer bezeugt, dass sie tragen kann, auch in der größten existenziellen Not. Am Anfang des Glaubens steht also immer eine Vertrauensgeschichte. Hier beginnt übrigens der Trugschluss des „Glaubenswissens“, von dem ihr jetzt immer redet. Vertrauen ereignet sich eher in erlebten Geschichten. Die Bibel ist voll davon. Der Dornbusch, der entgegen aller Wahrscheinlichkeit immer brennt. Das Rote Meer, das entgegen aller Gesetze den Weg in die Freiheit weist. Du musst das Vertrauen erleben, du kannst es nicht anweisen.

Am Ende dieser Woche muss ich sagen: Ich weiß nicht, wie ich euch in der Bistumsleitung vertrauen soll. Mein Vertrauen in euch ist pulverisiert. Am Anfang war das Wort, aber euer Wort ist nicht bei Gott. Mich jedenfalls trägt es nicht. Eine bittere Erkenntnis. Aber es hilft ja nichts das zu verschweigen. Ich finde es wichtig, dass ihr das wisst.

"Viel geht, wenn Vertrauen geht."

In der Arbeitsgruppe Geistlicher Kulturwandel und Vertrauensarbeit beim Pastoralen Zukunftsweg haben Franz Meurer, Markus Roentgen und all die anderen wunderbaren Mitglieder viel über diesen Satz nachgedacht, wie ihr wisst. Dieser doppelbödige Satz bringt die Situation auf dem Punkt. Vertrauen ist das Fundament. Wo Vertrauen geht, wächst das Gottesreich. Wo Vertrauen geht öffnet sich die Hölle. Wo Vertrauen geht beginnt die Erlösung. Wo Vertrauen geht bleibt der Karfreitag. Der schmale Grat des Vertrauens. Der entscheidende Sekundenbruchteil.

In der vergangenen Woche klingelte morgens um halb sechs das Telefon. Ein kleines Kind. Gestorben. Wenn ich dann an der Wohnungstür stehe und in die verzweifelte Leere der Augen der Menschen blicke, deren Leben sich gerade auf null stellt – dann entscheidet sich in diesem Moment an der Türschwelle alles. In diesem Augenblick auf der Schwelle entscheidet sich, ob am Anfang das Wort ist, und das Wort bei Gott ist. In diesem Moment entscheidet sich also, ob das Wort, was ich mitbringe gilt. Ob es trägt. Ob das Mitleid ein wirkliches Mitleiden ist. Der Trost ein wirkliches Trösten. Das Aushalten ein wirkliches Halten. Oder ob alles nur Fassade ist. Zynisches Abspulen von leerem Ritual. Denn in diesem Moment entscheidet sich, ob ich einen Kredit ohne Sicherheit bekomme. Ob die Menschen mir in diesem Moment totaler existenzieller Not vertrauen. Mir und meinem Wort, das ich in diesem Moment bringe. Dem Gebet. Dem Segen. In diesem Moment, in Sekundenbruchteilen entscheidet sich alles.

Es entscheidet sich auch, wenn ich in den Agneskirche das Wort ergreife. Wenn ich mit Menschen spreche, die ihr Kind zur Erstkommunion bringen. Wenn ich in Gesprächen mit anderen die Bibel teile, wenn ich auf der Straße angesprochen werde, wenn ich in der Stadtteilkonferenz sitze. Wenn ich mit Lehrerinnen und Lehrern spreche. In St. Gertrud mit KünstlerInnen eine Ausstellung vorbereite. Am Anfang war das Wort. Und das Wort war bei Gott. Oder ist es doch eher beim Teufel?

Als ich das tote Kind und seine Eltern verlassen hatte und später wieder auf die Straße trat, da flog mich dieser Gedanke an: Warum setzt ihr an der Bistumsspitze das aufs Spiel, was das entscheidende und wahrscheinlich das einzige Kapital ist, was ich in meiner Arbeit habe: Das Vertrauen? Wenn mir die Menschen nicht mehr vertrauen, dann kann ich nicht mehr arbeiten. Ich hoffe sehr, dass es nicht so kommt. Seht ihr diesem Zusammenhang nicht? Das kann ich mir kaum vorstellen. Und wenn: Ist euch das wirklich egal?

"Am Anfang war das Wort. Und das Wort war bei Gott. Und das Wort war Gott." 

Für mich ist dieser Gedanke nicht nur mein persönliches Fundament. Das Wort, das trägt und deswegen bei Gott ist. Der Dornbusch, der brennt. Das Meer, das sich teilt und den Weg in die Freiheit weist. Diese Bilder tragen nicht nur mein Leben. Sie sind Grundlage meiner seelsorgerischen Arbeit. Weil sie vom unverbrüchlichen Vertrauen in Gott erzählen. Ich kann nur dann arbeiten, wenn mir die Menschen diese Worte glauben. Wenn das Vertrauen geht, ist meine Arbeit am Ende. Ich kann mir nicht vorstellen, dass euch das nicht klar ist. Und weil euch das klar sein muss frage ich mich, warum euch das egal ist.

Am Ende einer Woche mit viel Wut, Traurigkeit, Fassungslosigkeit und Tränen muss ich euch sagen: Euer Wort trägt mich nicht. Viel ging, als Vertrauen ging. Ich werde nach langem Überlegen einstweilen trotzdem weiter versuchen, hier an diesem Ort, der mir so viel bedeutet weiter Worte zu finden, die tragen. Und hoffe, dass mir das gelingt. Weil ich mir jedenfalls die Welt ohne Worte, die bei Gott sind nicht vorstellen mag.

4 Kommentare:

  1. Danke für die klaren Worte! Ich wünsche Ihnen viel Kraft und Mut!

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  2. Unfassbar mutig, gut und aufbauend für die, die einer Kirche vertrauen, die nicht so ist, wie sie ist.

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  3. Lieber Peter, dein Vertrauensverlust in die, die dir den Rücken stärken sollten, kann ich nachvollziehen. Aber sei unbesorgt, was dich angeht. Wo das Wort gelebte Tat wird, wie bei dir, ist es nicht bloß eine Hülse, sondern ist es erfahrbar. In deinem ganzen Handeln, deinem Umgang mit den Menschen dieser Gemeinde, deinem caritativen und seelsorgerischen Tun bist du authentisch und glaub-würdig. Unser Vertrauen möge dich stärken.

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