Wenn einer eine Ahnung von Gott gehabt hat, dann war es Cilli. Jetzt ist sie gestorben. Was Kommunion bedeutet habe ich vielleicht bei ihr erst richtig verstanden. Foto: Peter Otten
Von Peter Otten
Ich habe Cilli vor sechs Jahren kennen gelernt.
Damals war ihr
Bruder Paul gestorben. Seitdem habe ich sie so oft es ging
montags besucht. Mehr noch: es begann ein liebgewonnenes Ritual. Als Cilli noch
in der Weißenburgstr. gewohnt hat, da habe ich mittags gekocht oder im
Suppenladen nebenan eine Suppe gekauft. Oder Kartoffelsalat mit Frikadellen. Dann bei Petra im Büdchen Cillis
Schlüssel geholt, habe geklingelt, bin hochgegangen, habe Cilli in den Arm genommen, der Hund
hat Cilli begrüßt. Dann Teller aus der Küche geholt. Kaffee aufgesetzt, das
Essen auf den Teller getan. Und gegessen. Doch, halt: Bevor der Löffel in die
Suppe getaucht wurde kam Cillis Frage: „Hat der Hund auch was zu essen? Ich kann
nichts essen, wenn der Hund nicht auch was hat.“ Klar, der Hund hat auch
etwas bekommen: einen Löffel Suppe in seinem Blechnapf. Oder die Hälfte von der
Frikadelle. Und mehr als einmal habe ich gesehen, wie Cilli heimlich, wenn ich
in der Küche nach dem Kaffee gesehen habe, dem Hund noch etwas von ihrem Essen
in die Schüssel getan hat. Cilli hat gedacht, ich habe das nicht
gesehen. Habe ich aber doch. Na klar. Und dann haben wir gegessen. Die zwei
Menschen oben am Tisch löffelten die Suppe oder schoben sich den Kartoffelsalat
in den Mund. Und unten am Tischbein kaute der Hund.
Wie kann es sein?
Mit dieser Geschichte ist das Wichtigste über Cilli gesagt. Jedenfalls das, wofür ich Cilli sehr bewundert habe. Wofür ich sie geliebt habe. Ich habe ich mehr als einmal gefragt: Wie kann es sein, dass ein Mensch, der so viel Schlechtes in seinem Leben erfahren hat und allen Grund gehabt hätte, den Menschen gegenüber misstrauisch zu sein – wie kann es sein, dass so ein Mensch bis zu Schluss jemand war, der so voller Liebe war für alles, was lebt? Hund und Mensch? Wie kann das sein? Und ich habe so oft mit Cilli an ihrem Tisch gesessen und hab sie bewundert und habe gesagt: Lieber Gott, gib mir ein bisschen von ihrer Liebe, ihrem Großmut, ihrer Freundlichkeit ab! Lieber Gott, lass mich von ihr lernen. Und ganz oft habe ich zu Freunden gesagt, die mitbekommen haben, dass ich das mache: Andere fahren zu Exerzitien durch die Gegend in irgendwelche frommen Häuser. Ich habe jeden Montag eine Stunde kostenlose Exerzitien mit Cilli. Denn wenn einer Ahnung von Gott hat, dann sie.
Manchmal habe ich die Kommunion dabei gehabt. Und bevor wir Mittag gegessen haben, da habe ich ihr noch die Hostie gegeben. Mitten auf dem Wachstischtuch lag die goldfarbene Burse mit dem kleinen Stück Brot. Mitten zwischen Tablettenschachteln, Illustrierten, ihrer Zigarettenpackung und dem Feuerzeug. Oft habe ich dann ein kurzes Gebet gesprochen. Das ging so: „Dieses Brot war in vielen Körnern über die Felder zerstreut. Zusammengebracht wurde es eins. Du rufst die Menschen an deinen Tisch und nährst sie mit deinem Brot. Wecke in uns den Sinn für die Gemeinschaft und lass uns zusammenstehen, zusammenhalten, zusammenwirken. Ich danke dir für die Kommunion. Sie ist das Band der Liebe, sie verbindet die ganze Menschheit zu einer Familie. Wir haben deine Liebe erkannt in der Liebe Jesu, der sich für die Menschheit hingegeben hat. Lass uns so leben, dass die Welt dich erkennt in der Liebe, die uns eint.“ Selten habe ich denn Sinn der Kommunion so gespürt wie in diesen Augenblicken. Selten lag er so auf der Hand wie dort. Und selten war die Welt so voller Hoffnung in diesen Momenten der Kommunion zwischen zwei Menschen und einem Hund, mit Gott und natürlich mit allen, an die wir in diesen Augenblicken gedacht haben. Die Welt war ins Licht gedreht, montags mittags in der Weißenburgstraße.
Der Himmel beginnt bei Cilli am Tisch
Das bleibt für mich Cillis Vermächtnis über ihren Tod hinaus. Sie hat etwas Unbegreifliches getan: Sie hat die Welt ins Licht gedreht. Sie war voller Glauben: daran, dass die Welt doch eine Schönere wäre, wenn die Menschen liebevoll und aufmerksam wären, und sie war immer die, die damit angefangen hat, liebevoll und aufmerksam zu sein. Sie war so voller Hoffnung: Immer war sie es, die zuerst gelächelt oder gelacht hat. Immer war sie es, die mit der Freundlichkeit begonnen hat. Immer war sie es, die gastfreundlich und zugewandt war. Immer war sie es, die mir die Gewissheit gegeben hat, dass es alles gut wird. Sie war so voller Liebe. Immer zuerst der Andere. Zuerst der Hund. Zuerst der Gast. Soll ich Kaffee kochen? Bis in die letzten Tage hinein ist sie in Sachen Liebe bis an die Grenzen gegangen.
Womit wir beim Lesungstext wären. Er stammt aus der Offenbarung des Johannes. Eine Gruppe von Jesusanhängern hat ihn geschrieben. Sie machen die Erfahrung, dass die Welt um sie herum zusammenbricht. Sie erleben sich in einer Minderheitensituation. Und sie fragen sich: Wie soll alles werden? Geht es gut zu Ende? Ist das, was Jesus verspricht nur eine Illusion? Und dann erzählen sie in die Trostlosigkeit der Welt hinein die Geschichte vom Himmel. Also von dem Ort, in der nichts anderes ist als Liebe. Und für den sie wie wir kein anderes Wort gefunden haben als Himmel. Himmlisches Jerusalem. Und ich habe auf einmal gemerkt, dass der Himmel, von dem dieser alte Text erzählt, schon bei Cilli in der Weißenburgstraße angefangen hat. Dort hat sie doch begonnen, Gottes Wohnung unter den Menschen. Wo sonst soll denn der Himmel angefangen? Doch dort, an der Wachstuchtischdecke von Cilli. Oben zwei Menschen, unten der Hund. Dort, wo eine alte Frau, die Grund genug gehabt hätte verbittert zu sein angesichts der Gewalterfahrungen, die sie in der Familie, im Krieg, im Kinderheim, bei den Nonnen, auf der Arbeit erlebt hat bis zum Ende ihres Lebens geglaubt, gehofft und geliebt hat? Wo sie Menschen miteinander verbunden hat? Mich und euch und viele andere, die heute gar nicht da sind? Wo sie auch mir, der ich durstig angekommen bin und euch doch auch immer Kaffee angeboten hat? Wer wenn nicht Cilli hat davon Zeugnis abgelegt, dass die Liebe, die Grenzen übersteigt ein Gedankenexperiment ist, das trägt und nicht nur eine fromme Illusion.
Bei Cilli am Tisch hat der Tod seine Macht verloren
Nichts anderes nennen Christinnen und Christen Auferstehung. Ostern. Nämlich den Augenblick, an dem der Tod seine Macht verliert. Bei Cilli am Tisch hat er begonnen, seine Macht zu verlieren. Denn Cilli war durch und durch ein österlicher Mensch. Sie war durch und durch Glaube, Hoffnung und Liebe. Cilli hat uns alle zu österlichen Menschen gemacht. Weil ich sie gekannt habe glaube, hoffe und liebe ich mehr. Anders. Glaube, Hoffnung und Liebe können die Welt verwandeln. Bei einem Mensch, der anderen Menschen von Ostern erzählt, bei dem hat der Tod keine Chance. Bei Cilli muss der Tod umdrehen und gehen.
Ansprache beim Trauergottesdienst für Cilli Elzer am 2. November 2022 in der Agneskirche
Das ist ein sehr schöner Text. So viel Güte kann nicht jeder erkennen und noch weniger können darüber schreiben. Danke. - Cilli hätte ich auch gern kennen gelernt.
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