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Montag, 18. Dezember 2017

Achterbahnen


By Andy (6tee-zeven), via Wikimedia Commons
Wir können Weihnachten ja als ein Ereignis deuten, in dem Gott die Welt in die Höhe hebt. Gedanken zu "Rollercoasters" von Aimee Mann.

Von Peter Otten


Mir selber ist die Faszination vieler Menschen für Achterbahnen schleierhaft. Jene Kombination aus Geschwindigkeit und dem Wechsel von aufwärts und abwärts, inklusive Loopings und Überschlägen, rasanten Stopps und magenunfreundlicher Beschleunigung. Nichts gegen Höhe, aber ich klettere lieber gemächlich auf einen Berg und lasse mir Zeit dabei. Und auch dort meide ich unnötige Gratwanderungen oder schwindelerregende Blicke zurück ins Tal. Ausblick ja, wunderbar, aber, please, mit einem sicheren Sitzplatz am Gipfelkreuz.

„Achterbahnen und Riesenräder – du magst das Gefühl“ singt Aimee Mann. Warum nur? Vielleicht gibt sie selbst die Antwort: „Immer rundherum bis du dich selbst in der Luft verlierst“. Vielleicht ist es diese Grenzerfahrung, die Menschen auf eine Achterbahn zieht: sich selbst verlieren, die Kontrolle abgeben. Und vielleicht verliert sich damit auch für wenige Minuten die Schwere der eigenen Existenz. „All die komplizierten deals, deine verzweifelten Klagen, die du einem Gott entgegen geschrien hast von dem du weißt er ist nicht da.“ Jeden Tag einen deal machen, und noch einen, und noch einen, eine Erwartung erfüllen, ein Ziel erreichen, kontrolliert sein, Kontrolle ausüben. Jeden Tag all die Sachen, die du nicht verstehst und die für dich keinen Sinn ergeben, weil sie dein Leben und das Leben von anderen Menschen schwer machen. Die aber da sind und die erstmal niemand wegräumt, kein Gott dieser Welt, wie dir scheint, so laut du auch schreist.


Vielleicht ist das das Attraktive: sich hingeben, sich aussetzen. Die Kontrolle übergeben, abgeben, an eine Technik, die sich ein Ingenieur ausgedacht hat, der die Schwerkraft mit Hilfe von Elektronik und Stahl für einen Moment überlistet. Vielleicht ist es das: die eigene Grenze, die eigene Beherrschtheit für einige Zeit zu überschreiten. Du magst das Gefühl: Für einen Moment aus dem Aussteigen, was dich am Boden hält. Für einen Moment nicht selbst funktionieren. Für einen Moment nicht der Ingenieur deines Lebens sein müssen. Für einen Moment alles am Kassenhäuschen zurück lassen, für einen Moment aussteigen und in den Rollercoaster einsteigen.

„Du bist ganz oben, wenn du fällst, die Baumwipfel im Blick. Und du kannst nichts machen außer zu sagen: Please, baby, please.“ Das ist ja das Prinzip der Achterbahn: Nach dem Höhepunkt kommt der Absturz, dem gleich wieder die nächste Verrenkung, das Herumschleudern und der nächste Aufstieg folgt – mit dem Wissen, der nächste Sturz in die Tiefe ist nicht weit, die Schienen, die Schwerkraft, die Beschleunigung zerrt dich wieder in die Tiefe. „Und du kannst nichts sagen außer please baby, please.“ Wen Aimee Mann da mit ihrer Bitte anspricht, bleibt offen. Bitte, lieber Gott, lass es vorbei sein? Lass mich gut unten ankommen? Vielleicht. In der drittletzten Strophe kommt eine Andeutung: „Bitte, gib mir Höhe.“ Denn: „Spiralen – oder Schadenfreude“. Es liegt nicht in meiner Gewalt, ob es misslingt. „Fallen oder fliegen – das Triebwerk zündet.“ Es geht los, so oder so, mit voller Kraft. Wohin, ob nach oben oder unten – das liegt nicht bei mir. Aber: Bitte, gib mir Höhe.

Es scheint dieser Moment am Scheitelpunkt der Achterbahn für Aimee Mann jedenfalls der Schönste zu sein: „Du bist ganz oben, wenn du fällst, die Baumwipfel im Blick, ganz oben.“ Es ist musikalisch und gesanglich auch der Höhepunkt im Stück. Hier setzt die zweite Stimme von Jonathan Coulton ein. „Please, please, baby, please“ wäre dann Bitte und Hoffnung, Vertrauen in das Echo dieser Bitte zugleich. Vielleicht achten Sie gleich beim zweiten Hören mal auf den Einsatz der zweiten Stimme. Da ist jemand anderer, der die Sehnsucht mitspricht. Ich scheine in meinem Sehnen nach Höhe nicht allein zu sein.


Vielleicht ist es der Moment, der die ganze Fahrt lohnt: Die Höhe, die paar Sekunden ganz oben, über den Bäumen und gefühlt in einer ganz andere Sphäre, jenseits von allem. Vielleicht ist es der Moment, diese Sehnsucht nach Höhe, nach dem Bruchteil des Verweilens. Du magst dieses Gefühl.

Ehre sei Gott in der Höhe. Und Frieden auf Erden und den Menschen ein Wohlgefallen - ein zentraler Satz des kommenden Weihnachtsevangeliums. Es ist der Gesang der Engel, die den Hirten die Geburt Jesu ankündigen. Wir können Weihnachten ja als ein Ereignis deuten, in dem Gott die Welt in die Höhe hebt. Gott wird Mensch – das bedeutet, er kommt in all meine Begrenzungen hinab. In die Schienen meines Lebens, die ich nicht ändern kann. In alles Routinierte, in alle deals, in alle Gewöhnlichkeit meines Funktionierens, die ich so oft hinter mir lassen möchte, was mir aber dann doch wieder nicht gelingt und in die ich jeden Tag aufs Neue einsteige. In das Achterbahnleben. Gott kommt hinunter – aber die Welt geht hinauf. Das ist das, was Christen den Beginn von Erlösung nennen. Das Leben wird nicht außergewöhnlich, nicht weniger routiniert. Aber es bekommt Höhe: "Immer rundherum bis du dich selbst in der Höhe verlierst." Und es wird Höhe behalten, selbst wenn du wieder fällst, ganz oben, die Baumwipfel im Blick.

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