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Norbert Bauer
Erik Flügge ist optimistisch. Er glaubt weiterhin daran, dass „eine Predigt wirken kann"(12). Obwohl er oft enttäuscht wird und das gesprochene Wort der Prediger und Predigerinnen „zu nett, zu klein, zu brav“ (55) ist.
Er hat Recht. Auch ich stöhne schon oft früh morgens im Bad bei der Morgenandacht: „Nein, bitte noch schon wieder.“ Nicht selten denke ich in der Kirchenbank: „Und jetzt?“ Und ab und zu lege ich selbst das Mikrofon beiseite und frage mich: „Was hast Du denn jetzt gesagt?“
Erik Flügge weiß wovon er spricht. Er selbst hat einige Semester Theologie studiert hat und dazu noch den Jugendverbandskatholiszismus aufgesogen.
Flügge weiß aber auch, dass das Problem bei vielen Predigten nicht nur die Wortwahl, sondern der Inhalt ist. Die beste Rhetorik macht auch keine inhaltlose Predigt wett. Daher empfiehlt er neben Emotion und Pointiertheit eben auch Relevanz und theologische Substanz. Vor allem will er vor Vereinfachungen verschont werden. „Bitte ersparen Sie uns allen, die gesamte Komplexität von Alten und Neuen Testament auf den barmherzigen Samariter und die Formel ‚Gott ist die Liebe“ viel zu unterkomplex zu reduzieren.“ (72)
Leider verfällt Flügge dann selbst der Komplexitätsreduktion - wenn er sich in der Pflicht sieht, positive Gegenbeispiele aufzuzählen. Zum Beispiel wenn er sich wünscht, dass die Menschen im Weihnachtsgottesdienst aufgefordert werden, umgehend die Kirche zu verlassen und anstatt Geld zu spenden ihre Geschenke direkt den Kindern in den Flüchtlingsunterkünften zu bringen. Diese Idee mag zwar pressewirksam sein, aber jede Spende ist nachhaltiger als gutgemeinter Aktionismus.
Ein positives Beispiel von Verkündigung ist für Flügge auch Nail X, ein Nagelstudio in der Stuttgarter City. Es entstand im Rahmen von FreshX, einem vor allem in der evangelischen Kirche anzutreffenden Versuch, mit neuen, frischen Ideen Kirche zu sein. In diesem Fall wurde ein Nagelstudio gegründet. Den Kundinnen werden professionell die Nägel gestylt. Das besondere daran ist, dass die Mitarbeiterinnen selbst keine speziellen Nägel haben und dann unweigerlich von den Kundinnen gefragt werden, warum sie denn diesen Job machen, aber offensichtlich selbst keinen Wert auf schöne Nägel haben. Die Antwort der Nagelstylistinnen lautet dann: „Wegen Gott!“ „Den Rest des Gespräches können Sie sich vorstellen!“ (106) meint Flügge. Ich kann mir den Rest des Gespräches sehr gut vorstellen, denn ich habe meinen Zivildienst in einem Koblenzer Krankenhaus als medizinischer Fußpfleger geleistet. Dabei ging es zwar meist um Hornhaut und nicht um Nailart, aber auch da gab es eine Menge Zeit zum Gespräch. Ich habe noch gut in Erinnerung, dass die im Behandlungsstuhl festsitzenden Patentinnen und Patienten es sehr unpassend fanden, wenn ich als angehender Theologiestudent das Hühnerauge nutzte, um über das Seelenheil zu sprechen. Kann ich aus Kundenperspektive gut verstehen.
Ich gehe beispielsweise gerne gut essen. Angenommen meine Frau und ich hätten uns für das Restaurant GourmetX entschieden. Und nach einem wirklich guten Essen an einem schön gedeckten Tisch würde sich der Chefkoch an den Nachbartisch setzen und vergnügt aus einem Blechnapf Spaghetti mit Ketchup essen. Unseren erstaunten Blick erwidert er mit einem schlichten „Wegen Gott“. Nachträglich würde mir der Appetit vergehen, denn die Botschaft ist klar: Wer Gott gefunden hat, braucht kein Sternrestaurant mehr.
Flügge gefällt an NailX die Idee der Irritation, die Lernprozesse initiieren kann. Bei mir lösen sie lösen genau das Gegenteil aus, spätestens dann, wenn ich merke, dass die Geschäftsidee nur die Kulisse für eine andere Geschichte ist.
Flügges Positiv-Beispielen ist gemeinsam, dass sich Kirche außerhalb ihrer eigenen vier Wände bewegt. In die Kirche komme ja niemand mehr. So ganz stimmt die Beobachtung nicht. Es kommen schon viele Menschen in die Kirche, zum Beispiel am Tag des offenen Denkmals. Sie kommen vielleicht gerade dann, weil die Besucher wissen, dass sie nicht einer Predigt zuhören müssen.
Anstatt die Kirchenräume zu verlassen, sollten diese vielmehr selbst zu Orten der Irritation werden. Gelungene Beispiele gibt es genug, zum Beispiel wenn eine Kirche eine Woche lang zu einem offenen Atelier wird und Künstler das Leben von Flüchtlingen aufzeichnen. Oder wenn Musikkenner am späten Abend in einer Kirche genau die Musik auflegen können, die sie schon immer mal in einer Kirche hören wollen. Oder wenn in der Kirche gemeinsam mit der Fuck-Up-Night-Bewegung ein Abend über Scheitern organisiert wird. Entscheidend an den Beispielen ist, dass man die Kontrolle aufgibt und anderen Menschen zutraut, die richtigen Bilder, die passende Musik, die bewegenden Geschichten für diesen Raum zu wählen. Aber natürlich soll weiterhin in der Kirche gepredigt werden, auch und besonders von Theologen, mit „universitären Tiefgang –nur eben so versprachlicht, dass man ihn versteht.“(111)
Etwa gleichzeitig zum „Jargon der Betroffenheit“ ist der theologische Sammelband „Das Christentum hat ein Darstellungsproblem“ erschienen. Der Bonner Liturgiewissenschaftler Albert Gerhards gibt in seinem Beitrag zu bedenken: „Hat sie (die Kirche) kein Darstellungsproblem, hat sie ein Problem.“ Denn Gott lässt sich nicht so einfach darstellen. Das gilt auch bei Predigten. Wenn die Menschen an der Kanzel meinen, sie könnte ohne dieses Problembewusstsein von Gott reden, werden sie weder Gott noch den Zuhörern gerecht. Für mich gibt es ein ganz einfaches Qualitätsmerkmal für eine gelungene Predigt. Ich will mit einer Frage mehr nach Hause gehen als ich gekommen bin. Wenn dass der Fall, ist gelingt einer Predigt genau das, woran ich mit Flügge weiterhin glaube: sie wirkt.
Die Geschmäcker sind halt verschieden.
AntwortenLöschenIch finde das Buch von Erik Flügge weder orginell
noch gelungen - und habe das auch begründet:
http://kreuzknappe.blogspot.de/2016/05/kritisches-zur-katholischde.html
Ihr Kommentar zum Buch lässt den Leser eher darauf schließen, dass Sie das Buch gar nicht gelesen haben. Das wäre allerdings eine Voraussetzung, es beispielsweise originell, gelungen oder eben misslungen zu finden. Sie schreiben: "Es gibt Aufsätze, die davon ausgehen, dass es gerade die heute so gerne angewendete nichtssagende Zeitgeist-Biertisch-Sprache ist, die die Menschen abstößt, denn wenn sie was über Politik oder Umweltschutz wissen wollen, brauchen sie dazu nicht unbedingt eine Predigt am Sonntag." Damit haben Sie allerdings - vermutlich ohne es zu ahnen - ziemlich präzise eine der Thesen von Erik Flügge wiedergegeben.
LöschenWie ich in meinem verlinkten Blogbeitrag klargestellt habe,
Löschenist die kühne Annahme von Eric Flügge, dass die typische
Kirchensprache die Leute aus der Kirche treibt.
Das ist vor ihm schon mehrfach so beschrieben worden und
nicht sonderlich originell.
Aber abgesehen davon ist die Frage, ob es stimmt.
Und da sagen einige andere Autoren eben: NEIN!
Ok, Sie haben das Buch wirklich nicht gelesen, denn es geht in dem Buch um etwas anderes als "die typische Kirchensprache" (was auch immer Sie darunter verstehen). Macht ja grundsätzlich nichts, allerdings macht das eine Bewertung desselben tatsächlich schwierig.
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